ACHTELFINALE BRASILIEN – CHILE IN DER ASTRA-BAR : Der chilenische Torwart bricht einem das Herz
VON JACINTA NANDI
Was machst du heute?“, fragt mich meine Mama am Telefon. Ich erzähle es ihr. „Ach, warum geht ihr jungen Mädels immer Fußball gucken?, fragt sie missbilligend. Dann legt sie los: „Und du schleppst den Kleinen doch nicht etwa mit, oder? Ich verstehe das nicht. Frauen und Kinder können doch die Spiele zu Hause anschauen. Ist es nicht gefährlich für euch? So viel Testosteron, und dann schmeißen die vielleicht Gläser rum, wenn ihre Mannschaft verliert. Ich weiß nicht, Jacinta. Ich bin Feministin, aber ich finde es okay, wenn die Männer mal alleine unter sich sein wollen, um Fußball anzugucken und Bier zu trinken.“
„Fußball draußen gucken ist hier anders“, erkläre ich meiner Mutter. „Ist nicht gefährlich. Es gibt geile Locations und süße Getränke, Liegen im Sand und eine ganz, ganz tolle Atmosphäre.“
Leider wollen alle meine Freunde nichts wissen von der tollen Atmosphäre, die Penner sind alle entweder auf der Fusion oder auf dem Kunstfestival 48 Stunden Neukölln. Am Ende überrede ich meine englische Freundin Katy, mit mir zum RAW-Tempel in die Astra-Bar zu kommen.
Beim Achtelfinalspiel Brasilien – Chile gibt es tatsächlich eine tolle Atmosphäre. Wir bestellen Wodka Lemon, sitzen auf bequemen Sofas und versuchen so zu tun, als verstünden wir etwas von Fußball. Ich erkläre Katy, dass für alle Fußballer, die nicht aus England kommen, Elfmeter eine einfache Angelegenheit sei. Und dann verliert Chile! Der Torwart der chilenischen Mannschaft sieht so traurig aus, dass ich denke, mein Herz bricht gleich.
Nach dem Spiel ist es plötzlich sehr leer um uns herum – vorbei ist es mit der tollen Atmosphäre. Auch die hübschen Franzosen, die ständig in Richtung Leinwand geschimpft hatten, sind gegangen. Uruguay gegen Kolumbien, das zweite Achtelfinale des Abends, interessiert offenbar niemanden mehr.
Dafür kommt der Türsteher und quatscht mit uns. Katy fragt ihn, warum so wenige Leute da sind. „Vielleicht haben sie gedacht, dass das Spiel langweilig sein wird“, sagt er. „Weil Suarez Verbot hat.“ Auf dem Weg ins Cassiopeia erzähle ich Katy von dem uruguayischen Stürmer, dem in der Vorrunde gegen Italien jegliche Beißhemmung abhandenkam.
Im Cassiopeia gibt es Liegen, und wir sind auch nicht die einzigen Menschen, abgesehen vom Türsteher. Nur blöd, dass Bäume einen Teil der Leinwand draußen vor dem Club verdecken – genau dort, wo die Tore angezeigt werden. Nach dem Spiel quatschen wir mit einem DJ aus Nordrhein-Westfalen, der uns fragt, ob wir zu einer Drum-and-Bass-Party gehen wollen. Wir sagen nein. Ich zeige ihm meine Trillerpfeife, die man mir bei einer Demo für die Flüchtlinge in der besetzten Kreuzberger Schule geschenkt hat. Ich habe ein etwas schlechtes Gewissen, dass ich diese antirassistische Trillerpfeife für das nationalistische Fußballspielgejubel benutze. Doch wahrscheinlich ist das egal.
Der DJ fragt uns, ob es stimmt, dass Public Viewing auf Englisch Leichenanschau heißt. Wir sagen ja, und dann gehen wir nach Hause.
Heimmannschaft: Alle sind hier willkommen
Gästeblock: dito
Ersatzbank: Das WM-Camp, ebenfalls auf dem RAW-Geände, ebenfalls kostenlos
Rote Karte: „Niemand über 30“, meint zumindest meine Freundin Katy
Stadionimbiss: Das Übliche: Currywurst und Hähnchen. Oder zum Inder nebenan
■ Astra Bar/Cassiopeia, Revaler Straße 99, Friedrichshain