3.000 Anschläge auf die Koalition (10): Kathrin Bahr, Susanne von Essen und Julia von Wild sagen, was Kulturpolitik braucht : Lasst uns Bremen bereichern!
■ sind kulturelle DienstleisterInnen: v. Essen, bisher künstlerische Leiterin der Schwankhalle, gehört zum Team von Breminale-Veranstalter „Sternkultur“. Germanistin Bahr und Freizeitwissenschaftlerin v. Wild betreiben das Büro zweifellos.net, das u.a. „La Strada unterwegs“ entwickelte.
Die Kulturpolitik unserer Stadt braucht dringend eine neue Anerkennungskultur. Dass Kulturschaffende und -veranstalter vielfach von Amt zu Amt, von städtischen Gesellschaften zu Senatsressorts zu Abgeordneten zu Beiräten zu Ortsamtsleitern und zurück aufs Amt verwiesen werden, und, dass der Kultursenator für all dies erklärtermaßen „nicht zuständig“ sein soll, wird einer „Kulturstadt Bremen“ nicht gerecht. Im Viertel haben im Mai 40.000 Menschen unter dem Label #bremenlebt friedlich gegen ein so begrenztes Verständnis demonstriert.
In der Bremer Kultur hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Netzwerke und Produktionsstrukturen haben eine große Bedeutung fürs künstlerische Schaffen: Die „Musikszene Bremen“, „Güterbahnhof“, „Spedition“ und „Schaulust“, „Zuckerwerk“ und „Schwankhalle“ bieten KünstlerInnen individuelle Beratung, Räume und Präsentationsmöglichkeiten. Gleichzeitig hat die kulturelle Bildung in Kultureinrichtungen, Schulen und Kitas einen neuen Stellenwert erreicht. Alltäglich geworden sind Kulturen, die sich nicht mehr den traditionellen Sparten zuordnen lassen, nach denen die Kulturverwaltung gegliedert ist. Außer Theater, Musik und bildender Kunst spielen Club-, Medien-, Netz-, Straßen- und Freiraumkulturen, nicht selten in Coworkingstrukturen kombiniert, eine wichtige, wahrscheinlich oft die tragende Rolle für GroßstadtbewohnerInnen. Für Kinder sind sie Rahmen und Grundlage ihrer kulturellen Erfahrungen.
Wir wünschen uns eine enge Verknüpfung dieser Bereiche in der Kulturpolitik und Kulturverwaltung. Kulturpolitik kann viel mehr sein als Geldverteilen und der Streit um ein Museum. Wenn Carsten Sieling mit Rot-Grün einen „Neustart“ unternehmen will, sind die Kulturen dafür ein wichtiger Motor!
Kulturelle Förderung fängt nicht beim Geld an. Ziel- und lösungsorientierte Beratung, klare Zuständigkeiten für rechtliche, bauliche, wirtschaftliche Belange der Kulturschaffenden müssten aus einem Guss sein. Mit dem dafür notwendigen Know-how des Kulturschaffens helfen wir gerne nach!
Zur Kultur und Kulturwirtschaft Bremens gehören Musikclubs und Kneipen, Medien, Buchhandlungen, Kinos und Privattheater, Musik- und Medienproduzenten, SchauspielerInnen, MusikerInnen GrafikerInnen, ProjektentwicklerInnen und Bürgerinitiativen dazu. Wer Kulturwirtschaft, Stadtentwicklung und Bildung als Felder der Kulturpolitik versteht, muss ihre soziale und wirtschaftliche Relevanz erkennen. Dann braucht Kultur auch passgenaue Entwicklungsförderung, Arbeits- und Sozialpolitik.
■ Die Nachwahlrangeleien haben die Programme verflüssigt: Es tauchen Pläne auf, Ideen werden konkretisiert und Vorhaben benannt, von denen vor dem 10. Mai noch nicht die Rede war. So wollen die designierten Koalitionäre ihre Profile schärfen. Die Gastkommentar-Serie der taz hilft Grünen und SPD dabei: Hier bündeln AkteurInnen der Zivilgesellschaft ihre Forderungen in Texten von je 3.000 Anschlägen.
Wir wollen Bremen mit unseren kulturellen Ideen und Angeboten bereichern und mit entwickeln. Dazu brauchen wir die Chance, mal was Neues zu versuchen und nicht nur mit Zähnen und Klauen das Erarbeitete zu verteidigen. Wir hoffen auf eine fach- und spartenübergreifende Projekt-Beratung und klare Zuständigkeiten für kulturelle Aktivitäten – egal ob gefördert oder nicht, egal ob es um Zwischennutzungen oder einzelne Konzerte geht.