25 Jahre „Le Monde diplomatique“ : Ziemlich cool und sehr international
Seit einem Vierteljahrundert gibt es die deutsche Ausgabe der „LMd“. Wie fing das eigentlich alles an? Ein Gespräch mit den LMd-Chefinnen.
Interview ANNA LERCH
taz: Die deutsche Ausgabe von Le Monde diplomatique feiert im Mai 2020 ihr 25. Jubiläum. Hättet ihr geglaubt, dass es die LMd so lange geben würde?
Barbara Bauer: Die Frage hat uns kaum beschäftigt. Das Ganze war erst mal ein Experiment, und wir wollten unbedingt, dass es irgendwie klappt. Als ich Anfang 2000 bei LMd anfing, kam mir die Idee, eine Monatszeitung aus dem Französischen zu übersetzen, ziemlich irre vor. Wir haben ja in Deutschland eine sehr vielfältige Presse mit vielen klugen Köpfen. Wer braucht da noch übersetzte Artikel aus der Pariser Perspektive? Heute denke ich, LMd ist ein ziemlich cooles internationales publizistisches Projekt, das seiner Zeit voraus war, gerade auch mit den Themen Globalisierung, ökonomische Konzentration, Kolonialgeschichte, Ausbeutung des globalen Südens etc.
Stimmt, mit einem Editorial von Chefredakteur Ignacio Ramonet hat LMd 1997 ja sogar direkt zur Gründung von Attac beigetragen
Marie Luise Knott: Seit Anfang der 1990er Jahre hatte sich die Pariser LMd unter Ignacio Ramonet verstärkt der Globalisierungskritik verschrieben. Doch wer das lesen wollte, musste des Französischen mächtig sein. Unsere erste Neugier galt also der Frage: Kann es gelingen, diese Debatte auch in Deutschland bekannt zu machen – auf dem Weg zu einer damals viel beschworenen „europäischen Öffentlichkeit“?
Was waren am Anfang dieses internationalen Projekts die Schwierigkeiten?
Knott: Kaum ein Experiment hat mein transkulturelles Nachdenken derart nachhaltig geprägt wie die Gründung von Le Monde diplomatique hierzulande. Was wir mit „dem Diplo“ einzukaufen glaubten, war das Organ eines linken Universalismus. Doch im Zuge des Zeitungmachens stellten wir fest: Was da aus Paris an jedem 29. eines Monats in Kopie zu uns kam, hatte alle Eigenarten eines französischen Journalismus: Die Texte hatten französische Referenzen, zitierten französische Autoren und Sprichwörter … Kurz, der Universalismus war ein französischer Universalismus. Dies spiegelte sich im Übrigen auch in den verschiedenartigen regionalen Aufmerksamkeiten. Über Osteuropa beispielsweise wusste die hiesige Öffentlichkeit weit mehr als die Pariser LMd, über Afrika oder Indonesien aber weit weniger.
War das auch der Grund, warum ihr irgendwann angefangen habt, eigene Texte zu bringen?
Knott: Ja, nach ein paar Nummern war klar: Wir müssen die Zeitung stärker hier verankern, ohne ihr „Frankreich“ zu nehmen. Wir wollten mit der deutschsprachigen LMd die Grenzen zwischen den Kulturen durchlässig machen.
Bauer: Dazu muss man wissen: LMd ist quasi ein international tätiges Franchiseunternehmen, mit Vorgaben der Lizenzgeberin (Paris) und genau definierten Spielräumen der verschiedenen Lizenznehmerinnen (von Seoul bis Santiago de Chile). Manche Ausgaben dürfen nur Artikel aus dem französischen Original übernehmen, andere, wie eben die deutsche oder auch die argentinische, dürfen in einem gewissen Umfang auch „eigene Texte“ publizieren. Dafür hat Marie Luise wie eine Löwin gekämpft.
Und wann kam dann der erste „eigene Text“?
Knott: Ich glaube, das war 1997. Der Anlass, selbstständig Texte zu akquirieren, war ein sechsseitiges Dossier zur Rentenpolitik in Frankreich, das wir nicht übernehmen konnten. Damals stellten wir fest, was wir eigentlich schon wussten: Die Texte in eigener Sprache, aus dem hiesigen Kontext heraus verfasst, atmeten anders als die Übersetzungen. Die hiesige LMd braucht solch eine Mischung, will sie auf dem Markt bestehen. Mit der Gründung der britischen LMd kam der angelsächsische Journalismus hinzu, und auch deren „Pool“ von Texten nutzten wir fortan. Damals beschäftigte uns die Frage, ob es eines Tages gelingen würde, zu einer gemeinsamen europäischen Redaktion zusammenzuwachsen. Hat nicht geklappt.
Aber dafür gab es ja die enge Zusammenarbeit mit der taz. Wie sah die aus?
Bauer: Die taz hat uns von Anfang an buchstäblich getragen: mit Layout, Vertrieb, EDV, Werbung, Aboverwaltung und, und, und. Ohne die Infrastruktur und den langen Atem der taz wäre das alles überhaupt nicht gegangen. Als wir dann immer mehr Abonnenten gewonnen und mit dem „Atlas der Globalisierung“ auch enorme ökonomische Erfolge erzielt haben, war das natürlich auch für die taz super.
Schon früh konnte man LMd aber auch unabhängig von der taz abonnieren. Wie kam’s dazu?
Knott: Um die Langlebigkeit und vor allem die Ausbaufähigkeit dieses Projekts zu sichern, schien es mir von Anfang an notwendig, an die deutschsprachige LMd als eigenständige Zeitung zu „glauben“. Beilagen haben die Tendenz, sich zu Tode sparzuschrumpfen, weil irgendwann der Werbeeffekt für die „Mutterzeitung“ ausgereizt ist. Das Beharren auf einer Separatausgabe, die sich eigenständig auf dem Markt behaupten muss, schuf Sicherheit und war zugleich ein Ansporn.
Weil ja das Übersetzen und Vermitteln einen so großen Raum einnimmt: Versteht ihr euch eigentlich als Journalistinnen?
Bauer: Da sind wir sehr verschieden, ich habe mich nie als Journalistin verstanden. Dafür kenne ich mich nirgends gut genug aus. Und ich hatte nie den Ehrgeiz, selbst zu schreiben. Das ist bei einigen Kolleg_innen anders. Manche schreiben Artikel in LMd und anderswo.
Was ist das Besondere an der Arbeit der Redaktion? Beeinflusst das Übersetzen den Blick auf die Welt?
Bauer: Das Besondere an unserer Arbeit liegt darin, dass wir mit und an unserer Sprache arbeiten. Das ist oft ein quälendes Gefummel, weil es leider sehr viel schlechtes Deutsch gibt. Manche auf Deutsch geschriebene Texten klingen ja wie verunglückte Übersetzungen aus dem Englischen. Das Engagement für die deutsche Sprache mag altmodisch sein und vergebliche Liebesmüh. Aber ich finde, es lohnt sich, ich hab es immer gern gemacht. Und obendrein jeden Tag etwas gelernt über die Welt.
Knott: Ob beim Übersetzen oder beim Redigieren – eigentlich geht es einem wie in Ilse Aichingers Kurzgeschichte „Zweifel an Balkonen“: Einerseits besucht man im Laufe der Arbeit verschiedene fremde „Balkone“ (Wissensgebiete, Lebenswelten, Denk- und Sprechweisen), andererseits machen diese Besuche einem die heimatlichen „Balkone“ heimatlicher. Aus solchen „Zweifeln“ speist sich das Schreiben, Übersetzen und Redigieren.