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Archiv-Artikel

24 spreebogen, folge 17 Von 16 bis 17 Uhr

Buden. Lichter. Volk. Alles voller Menschen im Berliner Regierungsviertel. Vorausgeschickt werden muss: Es ist immer ein Mittwoch, wenn ich hier meine Runden drehe; und am vergangenen Mittwoch war nun mal der Tag der Deutschen Einheit. Man darf sagen, dass sich am Spreebogen Mühe gegeben wird, um aus dem Feiertag etwas zu machen.

Vor dem Brandenburger Tor ist eine Bühne für deutsche Live-Acts aufgebaut – Patriotisches ist da nicht zu erwarten. Die Veranstaltung fand unter dem Titel „Coca-Cola Soundwave“ statt; es traten auf: Juli, Silbermond, 2raumwohnung, Die Fantastischen Vier. Ganz wertneutral sei in Anlehnung an den Bundespräsidenten Heinemann festgehalten: Man liebt hier nicht sein Land, sondern dass was los ist und okaye Unterhaltung. Und: Es ist was los. Gekommen sind Familien auf Fahrrädern und Seniorenpaare in Fitnesskleidung. In großer Zahl verstopfen sie die Spreepromenaden. Als Engstelle erweist sich wieder einmal die Fußgängerbrücke zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt; hier staut sich’s. Dafür hat man in der Umgebung wenigstens geschäftstüchtige Maßnahmen ergriffen, um mit den Menschen umzugehen: Die Bratwürstchen am Bahnhof Friedrichstraße sind 20 Cent teurer als üblich.

Zum Nationalfeiertag erobert sich also die Spaßgesellschaft das Regierungsviertel. Was immer man davon hält – den größtmöglichen Kontrast dazu kann man sich abholen, wenn man ein paar hundert Meter nördlich geht, einmal um die Charité herum. Dort liegt der Invalidenfriedhof mit vielen Grabmälern preußischer Generale: Scharnhorst, Witzleben, Schlieffen, Moltke, dann auch noch solche Leute wie Richthofen oder Heydrich. Ganz still kann es auch am 3. Oktober an diesem fast schon verwunschenen Ort sein, und in die Stille hinein kann man – plötzlich erheitert – horchen, ob sich diese Kriegshelden angesichts des neuen Spaßpatriotismus im Grabe umdrehen. DIRK KNIPPHALS

Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 17 bis 18 Uhr: wegen Dienstreise zur Buchmesse erst am 20. Oktober