2018 – heute : Ein Haus, ein Szenario und ein Virus
Einmal mehr ist Wandel das Gebot der Stunde bei der taz: Der Chef verkündet das Ende des Drucks und geht dann in Rente, ein Virus legt den frisch bezogenen taz Neubau still und Kriege verlangen der Redaktion alles ab.
🐾 2018
Zur Genossenschaftsversammlung 2018 skizziert taz-Chef Kalle Ruch erstmals die zukünftige Entwicklung der taz hin zu einem überwiegend digitalen Medium ohne werktägliche gedruckte Zeitung.
Das als „Szenario 2020“ betitelte Papier sorgt für Aufsehen, nicht nur unter den taz-Mitarbeiter:innen, -Leser:innen und -Genoss:innen, sondern auch in der Zeitungsbranche. Schließlich prophezeit Kalle Ruch nichts weniger als das weitgehende Ende des Mediums Tageszeitung im Zuge der digitalen Transformation der Gesellschaft.
Infolge des Szenarios beginnt die taz, ihre eigene digitale Transformation verstärkt in Angriff zu nehmen und eine anstrengende Metamorphose hin zu einem digitalen Medienhaus einzuleiten.
Im Herbst 2018 ist es derweil soweit: Umzug! Die taz bezieht ihren Neubau, und aus der bisherigen Adresse Rudi-Dutschke-Str. 23 wird die Friedrichstraße 21. Die Postleitzahl 10969 bleibt gleich und damit bleibt auch dem ehemaligen Berliner Zeitungsviertel ein unabhängiges und genossenschaftlich organisiertes Zeitungshaus erhalten – der taz Neubau.
Das alte taz-Gebäude, das „Rudi-Dutschke-Haus“, bleibt im Besitz der taz-Genossenschaft. Es wird vermietet und trägt durch die Mieteinnahmen zu den Einkünften der taz bei.
🐾 2019
Zeit für etwas Neues. Mit Andreas Marggraf leitet die taz im Februar den Generationenwechsel an der Spitze der taz ein, die bisher von den alten taz-Chefs Kalle Ruch und Andreas Bull gebildet wurde. Marggraf übernimmt die Geschäftsführungsaufgaben von Kalle Ruch, der zum Jahreswechsel in den Ruhestand treten wird.
Der Dezember bringt dann den Abschied von Kalle. Dabei könnte man durchaus von einer Zeitenwende sprechen, schließlich gestaltete Kalle Ruch die Geschicke der taz seit ihren frühesten Tagen. Die taz verabschiedet sich mit einer Sonderausgabe am 14. Dezember 2019 – die Titelzeile der Kalle-taz lautet: „Kalle, eine linke Geschichte“.
🐾 2020
Das Jahr 2020 hat es in sich für die taz – und nicht nur für sie. Ende Januar verlässt Georg Löwisch als Chefredakteur die taz und wechselt in den Verlag der Zeit.
Im März stellt ein gewisses Virus alles auf den Kopf, und der wuselige taz Neubau ist plötzlich menschenleer. Trotzdem fällt keine einzige taz-Ausgabe aus, denn einmal mehr beweist die EDV der taz ihre einzigartigen Qualitäten und baut quasi über Nacht eine Infrastruktur auf, mit der die komplette Zeitungsproduktion und Verlagswirtschaft der taz in die Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer der tazler:innen verlegt werden kann. taz goes Homeoffice.
Im April kann sich die taz über eine Rückkehrerin freuen: Die frühere taz-Redakteurin Ulrike Winkelmann kehrt aus Köln und vom Deutschlandfunk zur taz zurück – als Chefredakteurin. Gemeinsam mit der amtierenden Chefredakteurin Barbara Junge bildet sie die neue taz-Chefredaktion, die auch dank der stellvertretenden Chefredakteurin Katrin Gottschalk nun eine echte Chefinnenredaktion ist – (leider) einzigartig in der deutschen Presselandschaft.
Im Juni schließlich gibt eine weitere Rückkehrerin Anlass zur Freude: Die ehemalige Co-Leiterin der Abteilung Digitale Transformation, Aline Lüllmann, kehrt vom Cornelsen Verlag zur taz zurück – als neue Geschäftsführerin. Gemeinsam mit Andreas Marggraf und dem noch amtierenden Geschäftsführer Andreas Bull bringen sie nun den Generationenwechsel an der Spitze der taz zum Abschluss. Corona, so scheint es derweil und leider, ist gekommen, um zu bleiben.
🐾 2022
Nach über 30 Jahren an der Spitze verlässt der taz-Chef und Vorstand der Genossenschaft, Andreas Bull, zu Jahresbeginn die taz und geht in den Ruhestand. Damit ist der Generationenwechsel an der taz-Spitze vollendet. Aline Lüllmann und Andreas Marggraf führen nun zusammen mit den gewählten Mitgliedern des taz-Vorstands die wirtschaftlichen und verlegerischen Geschicke des linken Medienhauses.
Im taz Neubau werden erste Lockerungsübungen ausprobiert, um den pandemischen Ausnahmezustand endlich hinter sich zu lassen. Zögerlich noch, denn Vorsicht bleibt das Gebot der Stunde.
Der Überfall von Putins Russland auf die Ukraine verlangt der Redaktion alles ab. Dank ihres traditionell starken Netzes aus Auslandskorrespondent:innen und -reporter:innen kann die taz ihren Leser:innen dabei Eindrücke aus erster Hand liefern. Dass die Redaktion in Debattenbeiträgen überwiegend und deutlich für das Recht der Ukraine auf militärische Selbstverteidigung plädiert, sorgt in den besonders friedensbewegten Teilen der taz-Leser:innenschaft für Diskussionen.
Die digitale Transformation der taz und die Arbeit am „Szenario 2020“ schreiten voran, wenn auch im Herbst 2022 einmal mehr das bedruckte Papier im Fokus steht: Die taz verabschiedet sich von ihrer Wochenend-Ausgabe. Mit der neuen wochentaz kommt nun die erste Wochenzeitung aus dem Hause taz auf den Markt. Sie ist gekommen, um zu bleiben, auch nach Ende des werktäglichen Zeitungsdrucks.
Die wochentaz bietet einen größeren Politikteil und ein Novum in der deutschen Zeitungslandschaft: ein eigenes Buch, das sich dezidiert mit der Zukunft der Menschen vor dem Hintergrund der Klimakrise auseinandersetzt. Der neue Teil heißt dementsprechend prägnant einfach: Zukunft.
🐾 2023
Die taz wagt sich auf das noch ziemlich wilde Feld der Newsletter und präsentiert „Team Zukunft“, ihren ersten rein journalistischen Newsletter – angelehnt an den Zukunftsteil der wochentaz.
Nach über zehn Jahren in unverändertem Betrieb ist ein Relaunch von taz.de mal wieder überfällig. Den ersten Schritt auf dem Pfad zum Relaunch macht der Verlag der taz: Das neue und, wie schon bei der gedruckten taz von Janine Sack und Christian Küpker ersonnene, Design für taz.de zieht zuerst auf den Webseiten des taz-Verlags ein. Zeitgleich wird ein neues Content-Management-System in Betrieb genommen, welches der taz die Verlagsarbeit im Netz zukünftig enorm erleichtern und Leser:innen wie Abonnent:innen eine komfortablere Nutzung der Website ermöglichen soll.
Mit dem Überfall der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober steckt die Redaktion schon wieder im Ausnahmezustand. Und erneut zahlt sich das weitreichende Netz an Korrespondent:innen und Reporter:innen für die Berichterstattung aus. Indes: Mit ihren in Debattenbeiträgen eher besonnenen und hinterfragenden Positionierungen zum Konflikt sorgt die Redaktion bei den pro-palästinensisch gestimmten Teilen der Leser:innenschaft für Diskussionen.
Wirtschaftlich läuft 2023 für das linke Tageszeitungsprojekt von anno 1978 zur Abwechslung mal ausgesprochen solide. Die berühmt-berüchtigt schlechten taz-Gehälter können sogar um einen Bonus für die Mitarbeitendenschaft ergänzt werden.
🐾 2024
Was 2009 als diskursive taz-Geburtstagssause im Haus der Kulturen der Welt in Berlin begann, ist 2024 ein ausgewachsener Kongress mit über 80 Einzeldiskussionen und 200 Diskutierenden rund um den taz Neubau und live im Stream – taz lab. Da das 15. Jahr des taz lab ein Europawahljahr ist und zugleich drei Landtagswahlen in Ostdeutschland stattfinden, lautet die programmatische Überschrift schlicht: „Alles Osten, oder was?“
Die jährliche Generalversammlung der taz-Genossenschaft bearbeitet mal wieder die Zukunft des taz-Projekts. Sechs Jahre sind seit Kalle Ruchs Verkündung des Szenarios 2022 vergangen, und nun ist es soweit – der Termin für die Beendigung des werktäglichen Druckens der „Tageszeitung“ steht fest: 17. Oktober 2025. Und die Genoss:innen stellen sich hinter den Kurs ihrer Zeitung – rund 77 Prozent stimmen der Beendigung des täglichen Druckens zu. Die Zukunft der Werktagsausgabe der taz ist rein digital.