: Alles dreht sich
PRESSETHEATER Die Krise tritt derzeit in einem Einfraustück auf, Regie führen Journalistinnen – eine kleine Medienkritik
VON STEPHANIE ROHDE UND ELENA ZELLE
Vorhang auf, das Stück beginnt: „Brennendes Loch“, „Kernschmelze“ oder „abgeschobener Giftmüll“. Die Krise huscht derzeit in verschiedenfarbigen Kostümen über die Bühne. Und traut man den deutschen Qualitätsmedien, spielt sie dort mal die Rolle eines „Super-GAUs“, mal eines „Totalabsturzes“ und zeigt ihre Einzigartigkeit im Einfraustück mit Textpassagen wie „nie zuvor“ oder „kaum noch verstehbar“. Und wer führt Regie im Welttheater zum „globalen Kasino“, wo dieses Stück täglich aufgeführt wird? Die Journalistinnen.
Ist die Vorstellung vorbei, entlässt das Theater die Besucherinnen in die Wirklichkeit. Dort sehen sie sich mit der Berichterstattung über die Finanz- und Wirtschaftskrise konfrontiert: Mehr als 32.000 Artikel über die Krise haben die deutschen Qualitätszeitungen in den vergangenen sechs Monaten veröffentlicht. „Den Mediennutzern drängt sich der Eindruck einer einheitlichen Berichterstattung auf“, sagt Wiebke Loosen vom Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft in Hamburg. In Krisenzeiten seien diese thematischen Übereinstimmungen ein Phänomen, das es in der Geschichte der Medien immer gegeben habe, so Loosen. Dennoch reicht ein bloßer Verweis auf die Geschichte nicht. Der Medienwissenschaftler Horst Röper vom Forschungsinstitut Formatt sagt: „Die Vielzahl von Medien bedingen die Vielfalt, aber sie garantiert diese nicht. Zurzeit sehe ich Löcher im Vielfaltsangebot.“ Laut Röper entstünden diese Löcher nicht nur in Krisenzeiten, da sich Medien immer in der Themenfindung aneinander orientieren. Besonders vielfältig seien die Berichte, wenn es große Kontroversen gebe, zu denen man Stellung beziehen könne, etwa Kommunismus gegen Kapitalismus. Wenn nun aber das gewöhnliche Schielen auf Andere zu einer ungewöhnlichen Zeit dazu führt, dass die meisten kaum voneinander unterscheidbare Meinungen vertreten, ist das zumindest verwunderlich. Zeitweise forderten fast alle Journalistinnen täglich in ihren Kommentaren mehr Regulierungen der Finanzmärkte. Querdenken? Fehlanzeige. Die Mahnung, man habe über seine Verhältnisse gelebt, scheint noch keinen tiefer gehenden Bewusstseinswandel bei den Verursacherinnen der Krise bewirkt zu haben. Stattdessen herrscht Ratlosigkeit. Diese einseitige Darbietung sieht Zeitungsforscher Röper als „punktuelles Medienversagen“.
Wie es nun weiter geht mit dem Theaterstück? Es wird an verschiedenen Spielorten gezeigt: Die Krise wandert durch die Redaktionen, „weiterdrehen“ nennt sich das. Irgendwann dreht man nicht nur das Thema, sondern auch sich selbst. Und wer sich im Kreis dreht, kommt bekanntlich nicht voran: Andere Brennpunkte werden im Wirbel hinausgeschleudert – und vergessen.