: Die illegalen Körner von Pioneer Hi-Bred
LANDWIRTSCHAFT Nach dem Skandal um verunreinigtes Saatgut steht das niedersächsische Landwirtschaftsministerium in der Kritik: Hat es bei den Kontrollen geschlampt?
NK 603: Die Maissorte des US-Saatgut- und Spritzmittelherstellers Monsanto ist besonders widerstandsfähig gegen ein konzerneigenes Insektengift. Mais dieser Sorte darf in die EU eingeführt und verarbeitet werden, 2005 beziehungsweise 2004 wurde er als Lebens- und Futtermittel zugelassen. 2004 wurde außerdem ein Antrag auf kommerziellen Anbau innerhalb der EU gestellt. Da über diesen bislang noch nicht entschieden wurde, gilt hier die Nulltoleranzgrenze der EU, nach der nicht zugelassene Genpflanzen selbst in kleinsten Mengen nicht im Saatgut vorkommen dürfen.
■ MON 810: Die ebenfalls von Monsanto hergestellte Maissorte hat eine ähnliche Spritzmittelresistenz wie NK 603. MON 810 wurde 1998 von der EU-Kommission zum kommerziellen Anbau als Futtermittel zugelassen. Die Genehmigung lief 2007 aus, seither wird über eine Neuzulassung beraten. Bis zu einer Entscheidung darf weiter angebaut werden. In Deutschland hat Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) im vergangenen Jahr den Anbau komplett verboten, weil sie Gefahren für die Umwelt befürchte.
■ Amflora: Die Kartoffelsorte von BASF wurde im Labor so verändert, dass sie – anders als natürliche Kartoffeln – nur eine Art von Stärke enthält. Dies soll eine optimale Nutzung der Pflanze für die industrielle Herstellung von Papier, Textilien oder Klebstoff ermöglichen. Eine Verwendung als Futter- oder Lebensmittel ist nicht erlaubt. Amflora ist die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die hierzulande zu kommerziellen Zwecken angebaut werden darf. (thsc)
VON THOMAS SCHMID
Nachdem am Wochenende bekannt wurde, dass in Deutschland illegaler gentechnisch veränderter Mais wächst, wird nun offenbar bereits an dessen Zerstörung gearbeitet. Das niedersächsische Umweltministerium erklärte am Montag, man verfolge die Vertriebswege des mit Gentech-Saatgut verunreinigten Saatguts der Herstellers Pioneer Hi-Bred, damit kontaminierte Felder zerstört werden könnten. Offen sei nur noch, ob die betroffenen Ackerflächen umgepflügt oder der Mais mit Pflanzengift abgetötet werde. Das liege in der Zuständigkeit der örtlichen Gewerbeaufsichtsämter.
Am Sonntag hatte Greenpeace Deutschland öffentlich gemacht, dass vom niedersächsischen Buxtehude aus wochenlang verunreinigtes Maissaatgut vertrieben wurde. Betroffen waren Großhändler in Niedersachsen sowie in mindestens sechs weiteren Bundesländern, die das kontaminierte Saatgut von Pioneer Hi-Bred erworben und an Landwirte weiterverkauft haben. Neben Niedersachsen waren das die Bundesländer Schleswig-Holstein, Brandenburg, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern. Zwischen den konventionellen Maiskörnern des Herstellers Pioneer Hi-Bred waren demnach auch Körner der Gentech-Maissorte NK 603 enthalten. Diese vom US-Konzern Monsanto entwickelte Sorte ist in der EU nicht für den kommerziellen Anbau zugelassen. Nach den geltenden gesetzlichen Regelungen ist dadurch eine Aussaat auch kleinster Mengen NK 603 unzulässig (siehe Text unten). Das verunreinigte Saatgut wurde nicht vor Beginn der Maisanbausaison zurückgerufen. Auf welchen Feldern der Mais nun wächst, wird derzeit bundesweit untersucht.
Das für die Überprüfung der Saatgutqualität in Niedersachsen zuständige Landwirtschaftsministerium steht in der Kritik. Umweltschützer bemängeln, dass das Ministerium nicht schnell genug reagiert habe. Im Rahmen von Routinekontrollen hätten bereits Anfang März erste Erkenntnisse über die Verunreinigungen vorgelegen, erklärte Greenpeace. Auch nach Angaben von Saatgutherstellern forderten andere Bundesländer im Falle kontaminierter Lieferungen schon Ende März dazu auf, die Ware zurückzuholen. In Niedersachsen wurde das für solche Maßnahmen zuständige Umweltschutzministerium dagegen erst Ende April vom kontrollierenden Landwirtschaftsministerium informiert.
Man habe besonders sorgfältig gearbeitet, verteidigt sich Gert Hahne, Sprecher des Landwirtschaftsministeriums. „Wir müssen schließlich dafür sorgen, dass der Steuerzahler nicht für falsche Entscheidungen zahlen muss.“ Dass der betroffene Saatguthersteller Pioneer Hi-Bred aufgrund der Kontrollergebnisse mit Schadenersatzforderungen drohe, sieht Hahne dabei als Bestätigung.
Auch die Firma Pioneer Hi-Bred sieht sich zu Unrecht in der Kritik. „Wir gehen davon aus, dass unser Saatgut den gesetzlichen Anforderungen entspricht“, sagte Geschäftsführer Ulrich Schmidt gestern der taz. Man habe die bemängelten Lieferungen in den eigenen Laboren getestet – mit negativem Ergebnis. Schmidt kritisiert die lange Bearbeitungszeit im Landwirtschaftsministerium. Immerhin seien die bemängelten Proben bereits am 9. Februar genommen worden: „Gute Labore machen die notwendigen Nachweistests innerhalb von zwei Tagen“, sagte Schmidt.
„Es muss geklärt werden, welche Rolle die niedersächsischen Ministerien bei diesem Skandal spielten“, sagte Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Alexander Hissting der taz. Dringender sei zunächst, sämtliche kontaminierten Maisfelder zu zerstören. Nach Greenpeace-Berechnungen reichen die beiden verunreinigten Lieferungen in die sieben Bundesländer für die Aussaat auf 3.000 Hektar. Das niedersächsische Umweltministerium spricht von 2.000 Hektar.
Die Vernichtung der illegalen Maisfelder ist bereits geplant. Nach Angaben der niedersächsischen Umweltministeriums spreche man sich derzeit mit den anderen Bundesländern ab, in die das kontaminierte Saatgut geliefert wurde. Die betroffenen Felder sollen nach der gängigen guten fachlichen Praxis entweder umgepflügt oder mit Pflanzengift zerstört werden, sagte eine Ministeriumssprecherin: „Wir sind guter Hoffnung, dass der Mais vernichtet werden kann.“
Das Umweltministerium in Brandenburg hingegen will die Landwirte nicht zwingen, den mit Genmais verunreinigten Mais zu vernichten. „Wenn das Saatgut schon ausgebracht ist, ordnen wir nicht den Umbruch an, weil dafür noch eine belastbare Grundlage fehlt“, erklärte das brandenburgische Umweltministerium am Montag. Davor aber warnt Greenpeace: „Sobald der Mais blüht, können die Pollen auf Nachbarfelder gelangen und diese kontaminieren.“