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Archiv-Artikel

„Bertelsmann ist unberührbar“

EINFLUSS Ganz gleich wer in Berlin die Regierung stellt, die Bertelsmann Stiftung aus Gütersloh regiert immer mit

Antje Vollmer

■ Jahrgang 1943, ist Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen. Sie war unter anderem Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestages. Sie hat sich intensiv mit der Reform des deutschen Stiftungsrechts beschäftigt.

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Frau Vollmer, der Festakt, mit dem Bertelsmann heute sein 175-jähriges Konzernjubiläum feiert, gleicht schon eher einem Staatsakt: Die Kanzlerin kommt, das politische Berlin ist fast vollzählig vertreten. Leben wir wirklich in der „Bertelsmannrepublik Deutschland“, wie der Autor Thomas Schuler sein Buch über den Einfluss der Bertelsmann Stiftung auf Gesellschaft und Politik betitelt hat?

Antje Vollmer: Die Stiftung übt erheblichen Einfluss auf die Politik aus. Das ist nicht illegal, aber die Politik sollte sich dessen bewusst sein und kann nicht so tun, als wäre die Bertelsmann Stiftung eine neutrale, nur dem Gemeinwohl verpflichtete Einrichtung.

Warum tut die Politik dann so?

Weil faktisch alle führenden Politiker, auch Bundeskanzler und Bundespräsidenten, immer wieder für bestimmte Projekte auf viel Geld und auf das Wohlwollen der Stiftungen angewiesen waren. Egal ob die führenden Köpfe Schröder oder Merkel heißen: Stiftungen wie die Bertelsmann Stiftung waren und sind engste Politikberater – und damit größter Profiteur bestimmter politischer Weichenstellungen.

Und die Gesellschaft lässt sich das gefallen?

Sie bekommt das ja kaum mit – und das liegt am beinahe völligen Stillschweigen der Medien. Als wir Ende der 1990er Jahre das Stiftungsrecht reformieren wollten, hatte ich überall Gespräche über mögliche Fehlentwicklungen geführt – bei Spiegel, Stern, Focus, Zeit, FAZ, Süddeutscher oder auch bei TV-Magazinen wie „Monitor“. Doch an Bertelsmann traute und traut sich niemand heran, mit Ausnahme eines Artikels im Tagesspiegel und der tapferen kleinen Neuen Westfälischen in der Provinz. Sonst aber legt sich eine Medienkrake nicht mit der anderen an. Die Angst vor Bertelsmann-Juristen und das potenzielle Bedürfnis, vielleicht mal etwas mit denen oder bei ihnen zu machen, hindert offensichtlich auch die Helden des investigativen Journalismus am Jagdeifer. Bertelsmann ist unberührbar.

Die Bertelsmann Stiftung und im Prinzip auch der Medienkonzern Bertelsmann haben im Vergleich zu Unternehmern wie Springer oder Kirch also den Ruf, „die Guten“ zu sein, nur weil die Medien feige sind und die arme Politik ahnungslos ist?

Unterschätzen Sie nicht die Suggestivkraft des Bertelsmann-Chefs Reinhard Mohn. Seine Parole „Man muss Politik führen, wie ein Unternehmen“, also deregulieren, passte genau in den neoliberalen Zeitgeist. Da war die Stiftung ein willfähriges Begleitschiff der Unternehmensstrategie von Bertelsmann nach 1990.

Sie haben zu Zeiten der rot-grünen Koalition versucht, dem deutschen Stiftungswesen eine Reform zu verordnen, die Großstiftungen wie die Bertelsmann Stiftung zu mehr Transparenz verpflichtet hätte. Woran ist das gescheitert?

Unser Ansatz war, Doppelstiftungen, die zum Teil gemeinnützig, daneben aber von Firmen- oder Familieninteressen geleitet sind, zu erschweren. Das deutsche Recht sollte wenigstens den Regeln in den USA angepasst werden: Dort kann eine Stiftung nicht mehr als 20 Prozent der Anteile an einem Unternehmen halten. Der Bertelsmann-Konzern gehört aber zu über 70 Prozent der Bertelsmann Stiftung bei beschämend niedriger Ausschüttung. Das ist nicht durchgekommen. Genauso wenig wurde ein Stiftungsregister eingeführt, das die Stiftungen zu mehr Information verpflichtet hätte - unter anderem über eventuelle Familien- und Konzerneinflüsse. Darin hätte offengelegt werden müssen, wer die Entscheidungen fällt und welche Zwecke so wirklich verfolgt werden.

Das heißt, die Bertelsmann Stiftung ist weiter nur kaltblütig auf ihren Vorteil beziehungsweise auf Vorteile für den Konzern bedacht?

Ich bin keine Bertelsmann-Verschwörungstheoretikerin, aber der eigene Konzern- und Steuervorteil durch die Doppelstiftungskonstruktion ist nicht zu leugnen. Das Schlimmste ist aber, dass die Bertelsmann Stiftung immer als Machtmonopol auftritt. Auch der Bundesverband Deutscher Stiftungen würde sich nicht trauen, gegen Bertelsmann vorzugehen.

Hat sich am Vorgehen der Stiftung seit dem Tod von Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn vor knapp einem Jahr etwas geändert?

Es ist sogar problematischer geworden, weil seine Nachfolgerin Liz Mohn nicht die Unternehmenskompetenz des Alten hat. Dabei gehört die Bertelsmann Stiftung als gemeinnützige Stiftung ausschließlich der Gesellschaft, also uns allen. Sie muss sich dem Gemeinnutzen unterordnen – und nicht einem Unternehmer und dessen Familieninteressen. Üblicherweise hört das spätestens dann auf, wenn der Stifter stirbt – dann kommt eine solche Stiftung in neutraleres Terrain. Aber auch das haben die Mohns bei Bertelsmann ja unterwandert, indem nun Familienmitglieder im Vorstand der Stiftung dauerhaft festgeschrieben sind. Dabei füllt die Familie das intellektuell heute gar nicht mehr aus: Wenn ein Reinhard Mohn auftrat, war da noch Substanz. Bei Liz Mohn müssen Sie doch nur sehen, wie peinlich berührt alle Politiker unter sich gucken, wenn sie eine Rede hält.

Die Bertelsmann Stiftung verweist bei solcher Kritik gern darauf, dass die Finanzämter ihren gemeinnützigen Status bislang immer bestätigt haben. Spielt da jemand falsch?

Ich würde mir außerhalb jeder politischen Machtfunktion nicht zutrauen, als David diesen Goliath juristisch zur Strecke zu bringen. Ich appelliere nur an alle, denen Stiftungen für eine offene Gesellschaft wichtig sind, endlich diese Debatte über Gemeinnutz zu führen. Wir brauchen diese Diskussionen im Bundesverband der Stiftungen und in der Bertelsmann Stiftung selbst.

Wieso? Ist die Stiftung mit sich selbst nicht im Reinen?

Dass es intern durchaus Differenzen gegeben hat, zeigt doch schon, dass gewichtige Stiftungsmanager wie Horst Teltschik und Mark Wössner im Streit gegangen sind und sich Bertelsmann genötigt sah, den Einfluss und die Dominanz der Familie Mohn in der Stiftung auf ewig festzuschreiben. Die Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung müssen sich zum Beispiel selbstkritisch fragen, ob sie sich wirklich sicher sind, dass sie in einem gemeinnützigen Zusammenhang arbeiten – und nicht in einem System, in dem ganz normale Machtinteressen fast alles bestimmen. Wie immer in unfreien Verhältnissen sind sie immerhin luxuriös ausgestattet: Manche soziale Einrichtung würde sich darum reißen, die dritte ausgemusterte Bürogarnitur der Bertelsmann Stiftung zu übernehmen.

Wie stehen die Chancen, dass es dieses Mal zu einer gesellschaftlichen Debatte kommt?

Nachdem es jetzt viel mehr Stiftungen gibt, muss es eine solche Auseinandersetzung auch im Bundesverband deutscher Stiftungen geben. Vor 15 Jahren war das noch ein sehr exklusiver Club, weil es die vielen neuen Bürgerstiftungen gar nicht gab. Es geht aber auch nicht, ohne dass jemand aus der Politik dieses Anliegen für eine gewisse Zeit zu seiner Aufgabe macht. Die Instrumente sind alle bekannt: Wenn man das 20-Prozent-Modell der USA übernähme und die Forderung nach Mindestausschüttung, hätte man Bertelsmann schon ein paar dicke Brocken vorgesetzt.