: „... vor dem Siegeszug des Kapitalismus den Hut ziehen?“
■ Die Gründung der „Linken Liste“ in Berlin läuft langsam an / Auszüge aus dem „Aufruf zur Einmischung“ von ÖkosozialistInnen
DOKUMENTATION
Berlin. Mit der Gründung einer Linken Liste in Köln für die gesamtdeutschen Wahlen und dem sogenannten Huckepackverfahren, das die etablierten Parteien ausgehandelt haben, wird die Frage eines linken Bündnisses auch für Berlin aktuell. Neben der Gründung einer PDS -Initiative für West-Berlin um den Anwalt Claus Croissant gibt es seit mehreren Wochen Gespräche zwischen linken Gruppierungen aus beiden Teilen der Stadt. Gestern abend nach Redaktionsschluß trafen sich zum ersten Mal offiziell VertreterInnen der ÖkosozialistInnen mit Gregor Gysi, Thomas Ebermann und anderen, um Bündnisperspektiven zu diskutieren (ausführlicher Bericht folgt). Im 'Ökosozialistischen Info‘ vom August wird ein „Aufruf zur Einmischung veröffentlicht, der von den ÖkosozialistInnen um Eberhard Mutscheller, Siggi Frieß, Renate Döhr, Dirk Schneider u.a. verfaßt worden ist und als Diskussionsgrundlage für weitere Debatten dienen soll:
Angesichts des DDR-Anschlusses, des Zusammenbruchs des „real existierenden Sozialismus“ und der Auflösung der bipolaren Nachkriegsordnung steht die Linke vor völlig neuen Herausforderungen. Wird sie vor dem Siegeszug des Kapitalismus ihren Hut ziehen? (...) Oder wird sie daran festhalten, daß der Kapitalismus nicht (...) in der Lage ist, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Emanzipation, die Lösung der globalen Probleme und die Befreiung der Frauen zu bewerkstelligen? (...)
Mit dem DDR-Anschluß stellt sich die Frage einer deutsch -deutschen Zusammenarbeit der Linken. Jenseits von SPD und Grünen treffen ertsmals Linke aufeinander, die sich erheblich voneinander unterscheiden: Im Westen eine gesellschaftlich marginalisierte Linke, mit einem Bündel von Niederlagen und Krisen ebenso im Gepäck wie mit den Erfahrungen oppositioneller Politik in einem führenden kapitalistischen Industrieland. Auf der anderen Seite die Bürgerbewegungen, die ihre gesellschaftliche Basis im Verlaufe des Anschlusses weitgehend verloren haben, Gruppierungen wie die „Vereinigte Linke“ und die (...) PDS. (...) Die erheblichen Unterschiede zwischen der Westlinken einerseits und der DDR-Linken andererseits schließen einen raschen Anschluß nach den Vorbildern der CDU, CSU, SPD, FDP und der Grünen aus. (...)
Unabhängig vom Wahlmodus bei gesamtdeutschen Wahlen muß sich die Westberliner Linke kritisch mit der Möglichkeit einer politischen Kooperation mit linken Gruppierungen in der „Noch-Hauptstadt“ - einschließlich der PDS - angesichts der baldigen Gesamtberliner Wahlen auseinandersetzen. Eine Bündelung der Westberliner Linken jenseits der gescheiterten rot-grünen Reformpolitik ist notwendiger denn je. Ein Anwachsen des Neofaschismus gerade im östlichen Teil dieser Stadt, die zunehmende AusländerInnenfeindlichkeit, die sozialen Ausgrenzungen, die Verschlechterung der Lebensbedingungen angesichts steigender Mieten und Bodenspekulationen (...) erfordern vor allem verstärkte außerparlamentarische Widerstände.
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