„... die Sache mit den Privatmedien ist ein großes Abenteuer.“

■ Ein Gespräch mit Peter Lilienthal

Der in Uruguay aufgewachsene Peter Lilienthal dreht seit 1960 ununterbrochen Filme. Trotz der politischen Brisanz seiner Themen entwickelte der Regisseur eine Methode der genauen atmosphärischen Zustandsschilderung, bei der Poetik und Realismus nicht mehr als Gegensätze erscheinen. Das Gespräch fand anläßlich seines Films Der Radfahrer vom San Christobal statt.

Friedrich Frey: Herr Lilienthal, zwischen 1960 und 1968 haben Sie ausschließlich fürs Fernsehen gearbeitet. Im Gegensatz zu vielen Ihrer Kollegen haben Sie das Fernsehen als eine Stätte bezeichnet, wo Sie sich sehr „behütet“ gefühlt haben...

Peter Lilienthal: „Behütet“ fühlte ich mich damals von meinen Freunden, von der Abteilung, in der ich 1960 als Regieassistent begann. Wir waren befreundet, waren solidarisch und haben allerlei Verrücktes zusammen gemacht. Aber mit „behütet“ meinte ich nicht die Institution Fernsehen. Die war immer gleich katastrophal. Damals gab es in den technischen Bereichen und in der Produktion noch Leute, die von den Propaganda-Kompanien des Dritten Reiches übrig geblieben waren. Ich weiß noch, als ich ganz am Anfang an einer Programmsitzung teilnahm, da saßen 30 würdige, ältere Herren um den Tisch, und als der Programmdirektor reinkam, hörte ich, wie unterm Tisch die Absätze zusammenschlugen. Das war beängstigend, eine Ungeheuerlichkeit - diese Typen, die auf Demokratie machten.

Also auch beim Fernsehen: die Stunde Null eine Lüge?

Das ist ja kein Geheimnis. Der Günter Grass hat das mal sehr gut formuliert: Das war die geschenkte Freiheit, und somit war auch die Institution Fernsehen eine geschenkte Institution.

Glauben Sie, daß es heute noch möglich ist, sich beim Fernsehen „behütet“ zu fühlen?

Es gibt eine Oase, das ist das Kleine Fernsehspiel. Da sind Leute, mit denen man ernsthaft reden kann. Das ist gerade für junge Filmemacher eine Möglichkeit. Dann gibt es noch einen sehr kleinen Bereich beim WDR. Doch eigentlich ist es eher trostlos. Wenn ich jetzt zum ZDF gehen würde auf den Lerchenberg, da würde mir schon die Präsenz des Pförtners mit seinem Schäferhund genügen, um wieder zu gehen. Doch im Gegensatz zu vielen Kollegen - mit einigen habe ich ja beim Filmverlag der Autoren zusammengearbeitet habe ich nie gesagt, wir sollten uns abgrenzen. Hier das Kino und dort das Fernsehen. Das war für mich nie ein Problem. Das Problem ist: Wo gibt es Produktionsmittel? Wo sind Freunde, mit denen man über Inhalte reden kann? Ich habe damals gesagt, Fernsehen ist ein viel zu wichtiges politisches Instrument, als daß wir es durch Abgrenzung verschenken dürfen.

Mich wundert, daß Sie keine ästhetischen Vorbehalte gegenüber der „Mattscheibe“ formulieren.

Ein Western, der mir gut auf der Leinwand gefällt, im Fernsehen sehen zu müssen, das ist eine Katastrophe. Aber wenn man wiederum mal alleine sein möchte, zu Hause, mit einem Gewinn an Intimität, weil man sich da niederlassen kann auf eine Art, wie es in unseren zum Teil sehr miesen Kinos nicht möglich ist, dann hat das natürlich auch etwas Positives. Man muß das im Detail sehen. Ich kann da nicht so kategorisch vorgehen.

Fühlen Sie sich mit Ihrer Haltung dem Fernsehen gegenüber eigentlich Alexander Kluge und dem, was er zur Zeit bei SAT1 und RTLplus versucht, verwandt?

Alexander Kluge ist jemand, der einen ganz ungewöhnlichen politischen Instinkt und eine hohe Intelligenz hat. Was er jetzt gemacht hat - ich habe mit ihm darüber gesprochen -, kann ich einfach noch nicht durchschauen. Ich bewundere es, weil es ein Experiment ist, das die anderen nicht wagen. Das Ganze wird ja sozusagen beaufsichtigt von einem japanischen Großkonzern, der ihm einen Zwei-Jahres-Vertrag gegeben hat, und was danach passiert, weiß keiner.

Würden Sie denn ein vergleichbares Angebot von SAT1 und RTLplus annnehmen?

„Make me an offer - I can't reject it“, so ist es natürlich nicht. Es käme darauf an, was für ein Angebot. Aber es gibt bei mir keine Abgrenzung, daß ich von vornherein Nein sage. Im Prinzip finde ich, daß die ganze Sache mit den Privatmedien ein großes Abenteuer ist, und, wie ich vorhin sagte, wenn man so eine wichtige Position der Öffentlichkeit den Falschen überläßt, muß man später auch den Preis zahlen. Wir sprechen uns noch mal in zehn Jahren, da gehe ich schon am Stock, aber dann wird irgendwas passiert sein, und ich werde mir nicht den Vorwurf machen müssen, ich hätte gesagt, da dürfe man nicht mitmachen.

Um Ihr eigenes Lebensgefühl, aber auch das Ihrer Figuren zu charakterisieren, haben Sie einmal das Bild von streunenden Hunden gebraucht...

Mit den streunenden Hunden meinte ich diese Art von Ziellosigkeit: Man geht zwar geradeaus, aber man weiß nicht, wo man hinkommt und von wem man aufgenommen wird. Ich kann mir vorstellen, daß irgendeiner meiner Kollegen ein Ziel hat. Man behauptet das zwar immer, aber die Ziellosigkeit ist einfach ein Dauerzustand. Dieser Dauerzustand kann nur unterbrochen werden, wenn man einen Auftrag bekommt. Die Gesellschaft gibt einem keinen - das Fernsehen auch nicht, weil es anonym ist. Das Beste wäre es, ich hätte eine Gruppe von Freunden, die mir genau sagt, was sie von einem Film erwartet. Da würde ich mich daran gebunden fühlen. Sicher, auch da kann man scheitern...

Auf die Frage nach dem Impuls oder vielleicht sogar Zwang, Filme zu machen, wollte ich gleich kommen, doch zuvor nochmal die Frage nach Ihren Figuren.

Die Personen, die ich gerne habe, das sind ja auch alles Umherirrende: Handelsvertreter, Sportler wie zum Beispiel Santiago aus meinem letzten Film oder Leute, die einen Krieg oder einen Aufstand am Hals haben. Insofern haben meine Figuren noch viel stärker etwas von den streunenden Hunden als ich selbst. Jemand, der Filme macht, hat, solange er die Mittel dazu hat, schon einen Boden unter den Füßen.

Was glauben Sie, woher das kommt, dieses Gefühl des Streunens, des Umherirrens?

Aufgrund meiner Biographie gibt es diese merkwürdige Konstellation: Wenn ich hier bin, fühle ich mich sehr lateinamerikanisch und, wenn ich dort bin, sehr europäisch. Das heißt, hier empfinde ich die Fremdheit, daß keine Lateinamerikaner im Publikum sitzen, und dort fühle ich eine Sehnsucht nach europäischer Aufklärung, Rationalität oder wie immer man das nennen will. Aber das ist ja auch gut, daß man sich sozusagen dazwischen einrichtet.

Ihr deutscher Kollege Wim Wenders hat einmal gesagt, er fände Halt in der Filmgeschichte. Wo finden Sie den nötigen Halt?

Wenn der Wim Filmgeschichte sagt, meint er natürlich bestimmte Traditionen, bestimmte Werke, die er als Vorbilder auffaßt. Aber wenn Sie mich fragen, wo ich Halt finde, dann bestimmt nicht in der Filmgeschichte oder im Kunstwerk.

Auch nicht in Ihren eigenen Filmen?

Nein. Ich finde Halt bei Menschen, die ich liebe, oder in einer politischen Situation, die mir besonderes interessant vorkommt, wie 1972 in Chile - da finde ich Halt. Das andere ist ja nur die Konsequenz einer bestimmten Art zu leben.

Film und Filmemachen ist für Sie also nicht so etwas Existentielles, wie es beispielsweise für Fassbinder war?

Ich glaube, man kann das für ihn nicht einfach so entscheiden. Es war bei ihm eine Leidenschaft für die Arbeit da, für den Eros der Arbeit gewissermaßen. Die Filme selbst waren dann auch immer nur die Konsequenz davon.

Wo aber kommt er her, der Impuls, Filme zu machen, wenn nicht aus einem unmittelbaren Zwang?

Neugierde für Menschen, für Situationen; eine Sehnsucht nach der Begegnung mit einer verlorengegangenen Familie. Die möchte ich vor dem Verfall, dem Vergessen retten, obwohl das schon wieder zu hochtrabend gesagt ist, aber so etwas steckt dahinter.

Mich berührt es, daß Sie nach dem Impuls fragen, weil es so selten gemacht wird. Ich muß sagen, daß ich für viele Dinge eine Leidenschaft habe, aber Filmemachen ist nur eine Konsequenz, ein Nebenprodukt. So wie für Kinobesitzer Film ein Nebenprodukt ist und das Hauptprodukt Langnese. Wenn ich mir jetzt noch die ganze Kultur vorstelle, die mit Film verbunden ist, Festivals undsoweiter, das zieht mich nicht im geringsten an, also dann ist Film wirklich nur eine Nebensache und eine fragwürdige obendrein.

Das vollständige Gespräch, das Friedrich Frey führte, erscheint Anfang Dezember in der Freiburger Filmzeitschrift 'Journal Film'