… DAS MAUERMUSEUM? : Soldaten weggedenken
Der Checkpoint Charlie ist als Stadtraum das, was der Philologe Palimpsest nennt: ein mehrfach beschriebenes, teilweise ausradiertes und überschriebenes Dokument, dessen Bedeutungsebenen sich konfus überlagern. Klingt kompliziert? Man kann es auch einfacher ausdrücken: Am ehemaligen Alliertenkontrollpunkt zwischen Kreuzberg und Mitte gibt es kaum ein Fleckchen Asphalt, kaum einen Quadratzentimeter Hauswand, der nicht auf eine der vielen Geschichten des Ortes verweist – mal subtil, mal mit dem Holzhammer.
Vor allem des Deutschen unkundigen Touristen tut sich da so manche falsche Fährte auf. Dass die Leuchttafel mit dem US- und dem Sowjetrekruten Kunst ist, begreift man ja noch. Aber wie ist es mit dem Bedeutungssprung zwischen dem historischen viersprachigen Schild „Sie verlassen den amerikanischen Sektor“ und seiner großformatigen Parodie auf der Brandmauer des Stiftungsverbands, wo es heißt: „Sie betreten den Non-Profit-Sektor“? Vermutlich die meisten werden jedenfalls die winzige, vom Mauermuseum auf der Friedrichstraße platzierte Baracke für den letzten Stand der Grenzanlagen halten – dabei stand hier 1989 ein ausladender, vergleichsweise moderner Kontrollkomplex.
Eine weitere Spielart der Geschichtsklitterung ist dem Mauermuseum selbst ein Dorn im Auge: die Studenten, die sich in NVA-Uniform ein Trinkgeld als Sidekick für Erinnerungsfotos verdienen. Die posieren vor der kleinen Barrikade aus betongefüllten Sandsäcken und ziehen ganz nebenbei das Andenken von Museumsgründer Rainer Hildebrandt ins Lächerliche, dessen Konterfei aus dem Inneren der Baracke lugt.
Jetzt hat die Arbeitsgemeinschaft 13. August, der Trägerverein des Museums, einen trickreichen Schachzug gemacht: Sie hat eine bronzene Gedenktafel an die Sandsäcke geschraubt, die Lucius D. Clay gewidmet ist. Der Berlinbeauftragte Kennedys ließ, als die Sowjetunion im Oktober 61 Panzer an den Kontrollpunkt schickte, ebensolche aufrollen – was, so die Lesart des Mauermuseums, eine friedliche Lösung des Konflikts zur logischen Folge hatte.
Vor der Tafel bzw. hinter den Säcken standen am Montag die Touristen Schlange, um sich abzulichten. Für Soldatendarsteller war da kein Platz mehr. Zufall? Auf jeden Fall noch eine Schicht Bedeutung. CLP Foto: rtr