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Aus taz FUTURZWEI

Nachrichten aus dem falschen Leben Warum ich lieber Idiot bin

Zu gar nichts mehr lässt sich noch etwas Vernünftiges sagen, findet Arno Frank. Darum lässt er es in Zukunft.

Foto: taz FUTURZWEI

Von Arno Frank

Neulich mit einer Pazifistin diskutiert, ging um den Krieg, den wir beide ganz fürchterlich finden. Ich äußerte den womöglich nicht ganz abseitigen Gedanken, dass wir es mit einer Apotheose der Vergewaltigung zu tun haben, Krieg also Vergewaltigung in Potenz sei. Vorstoß auf fremdes Territorium, gewaltsames Eindringen, Ausschalten jeder Gegenwehr. Und dass ich mich über das Misslingen dieses Ausschaltens dann auf finstere Weise freute. Weil, wenn das Opfer sich wehrt, der Aggressor nicht bekommt, was er will. Jedenfalls nicht so leicht. Weil ihm Schmerzen zugefügt werden und sein Vergnügen an der Überwältigung empfindlich eingeschränkt ist. Vielleicht lässt er sogar ab von seinem Tun?

Die Pazifistin wischte diesen Vergleich mit verächtlicher Vehemenz als »idiotisch« beiseite. Wenn eine Frau sich gegen den Vergewaltiger wehre, gehe das meistens noch übler aus, dann überlebe sie die Attacke unter Umständen erst recht nicht. Ein Argument, vor dem ich wegen meiner Sprechposition (Mann ohne Vergewaltigungserfahrung whatsoever) auf der Stelle die Waffen strecken musste. Was weiß denn ich schon? Frivol war die Diskussion ohnehin, nun war sie beendet. Besser so.

Überhaupt lässt sich zu gar nichts mehr etwas Vernünftiges sagen. Wer vorgibt, pandemische, historische, ökonomische oder ökologische Zusammenhänge in ihrer jeweiligen Tiefe zu durchschauen, lügt. Immerhin erkennt man diese Lügner sehr schnell am Zurückgelehnten, Weitausholenden ihrer Erörterungen. Findet sich in einem Text zu Corona, zum Krieg, zum Kapitalismus oder zur Klimakrise kein noch so winziges Element mehr des Zweifels oder der Ratlosigkeit, kann die Lektüre getrost abgebrochen werden. Dann haben wir es mit einem Schwindler zu tun. Die finden sich überall.

Ein Leben ohne Streben nach Deutungshoheit jenseits der eigenen vier Wände

Mal sind es altgediente Linke, die sich das Hirn weggekifft haben und mit Hornhaut auf der Seele als »Putinversteher« hausieren gehen. Mal sind es Millionenerbinnen, die ein Tempolimit auf Autobahnen als technokratisches Allheilmittel gegen militärische Gewalt empfehlen. Bescheidwisserinnen und Bescheidwisser kommen in allen Formen. Es lodern eben viele Feuer auf der Welt. Es wäre ein Wunder, wären sie nicht alle umlagert von Ideologen, die darauf ihre jeweiligen Süppchen kochen.

Dann bin ich lieber Idiot.

Idioten (ἰδιῶται) im klassischen Sinne sind ganz wertfrei Leute, die das politische und auch militärische Leben in der Polis (πόλις) denen überlassen, die sich damit auskennen. Leute ohne Befehlsgewalt, die nach keinerlei Deutungshoheit jenseits ihrer eigenen vier Wände streben. Eine solche Haltung muss nicht notwendigerweise eine Kapitulation vor der Komplexität von allem bedeuten. Sie kann auch verstanden und gestaltet werden als taktischer Rückzug auf ein Terrain, in dem so etwas wie Selbstwirksamkeit spürbar wird.

Weil wir ohnehin gerade von Militärexperten umzingelt sind, könnte man in dieser Angelegenheit auch den allergrößten Experten zu Rate ziehen: »Um diese Schwächen oder Fehler des Gegners zu benutzen«, schreibt Clausewitz, »nicht einen Zollbreit weiter zurückzugehen, als die Gewalt der Umstände erfordert, hauptsächlich aber, um das Verhältnis der moralischen Kräfte auf einem so vorteilhaften Punkt als möglich zu erhalten, ist ein langsamer, immer widerstrebender Rückzug, ein kühnes, mutiges Entgegentreten, sooft der Verfolgende seine Vorteile im Übermaß benutzen will, durchaus nötig.«

Um das Verhältnis der moralischen Kräfte auf einem vorteilhaften Punkt zu erhalten, muss dieser Punkt am Ende doch gehalten werden. Bis dahin ist es »durchaus nötig«, das verfolgende Geschwätz der Bellizisten wie Pazifisten unkommentiert verklingen zu lassen. Idioten wissen schon ganz gut, was gut ist für sie selbst und all die anderen Idioten, von denen dieser Planet bevölkert ist.

Nachrichten aus Ihrem falschen Leben bitte an futurzwei.leserbriefe@taz.de

Dieser Beitrag ist im Juni 2022 in taz FUTURZWEI N°21 erschienen.