13 - 21. Juli 2024
Polen (Warschau-Lodz-Danzig)
mit Gabriele Lesser, taz-Korrespondentin für Polen
Unsere Reise startet in der pulsierenden Hauptstadt Warschau (Warszawa), geht dann weiter zur zentralpolnischen Industrie- und Arbeiterstadt Lodz (Łódź) und endet in der nordpolnischen Ostsee- und Hafenstadt Danzig (Gdansk). Drei Städte, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.
Von Danzig (Foto oben) aus erfasste in den 1980er Jahren die Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung Solidarnosc das ganze Land. Es kam zum Umsturz.
Warschau ist die boomende Hauptstadt, deren Wolkenkratzer immer höher in den Himmel schießen. Das Lebensmotto hier heißt "Tempo, Tempo!".
Und Lodz entdeckt gerade seine Identität als "Stadt der Frauen" wieder. Denn groß geworden ist die Tuchmacherstadt durch Arbeiterinnen, die aus dem Land in die Stadt kamen und immer emanzipierter wurden.
In alles drei Städten spielte vor dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Minderheit eine maßgebliche Rolle. Auf unserer Reise werden wir nicht nur aktiven Polen und Polinnen begegnen, sondern immer auch einen Blick auf das jüdische Erbe der drei Städte werfen.
Dass die Polen großen Anteil am Fall der Berliner Mauer im November 1989 hatten, weiß heute kaum noch jemand außerhalb der Landesgrenzen Polens. Dabei gehören die großen Streiks der Gewerkschaft Solidarnosc, die Gespräche am Runden Tisch, schließlich die noch halbdemokratischen Wahlen am 4. Juni 1989 zu den Grundlagen der europäischen Identität.
1989 begannen in Polen der Zusammenbruch des Kommunismus und damit die Wiedervereinigung des geteilten Europas. Heute, über 30 Jahre später, ist von der Aufbruchsstimmung direkt nach der Wende kaum noch etwas zu spüren. Aber die Abwahl der langjährigen PIS-Regierung im Oktober letzten Jahres hat eine andere Aufbruchsstimmung geschaffen, natürlich nur bei den Gegnern der PIS.
Jahrelang hatte Jaroslaw Kaczynski, Parteichef der bis Oktober 2023 regierenden Nationalpopulisten (PiS), im Fernsehen gegen „Polen der schlechtesten Sorte” geätzt und Oppositionspolitiker im Parlament schon mal als „Verbrecherfressen” und „Kanaillen” niedergebrüllt. Doch Polens Zivilgesellschaft wehrte sich nach Kräften. Die zahlreichen Bürgerinitiativen, Vereine und Stiftungen, die nach 1989 wie Pilze aus dem Boden schossen, versuchten Empathie und Solidarität unter den Polen zu retten.
Dieses Engagement wurde im Oktober mit der Abwahl der PIS belohnt. Wie schwer dies zum Teil war, werden wir auf dieser Reise erfahren. Die Themen „Zivilgesellschaft, Geschichte, Gegenwart, System- und Mentalitätswandel” werden uns die ganze Reise über begleiten und viel Stoff zu Diskussionen geben.
Programm der Reise
1. Tag (Samstag) Anreise nach Warschau
Individuelle Anreise mit Bahn, Bus oder Flugzeug. Check-in im Hotel. Um 18 Uhr Begrüßung der Gruppe durch die Reiseleiterin Gabriele Lesser. Kurze Vorstellung des Programms. Bei einem Spaziergang im Stadtzentrum gehen wir zum Abendessen in ein Restaurant in der Altstadt.
2. Tag (Sonntag) Warschau
Auf einem thematischen Stadtrundgang lernen wir heute die Geschichte des Warschauer Ghettos, des Ghetto-Aufstandes 1943 und des Warschauer Aufstandes von 1944 kennen. Wir werfen einen Blick in die einzige Synagoge, die den Krieg überstanden hat und bis heute eine aktive Gemeinde hat, sehen uns eines der wenigen original erhaltenen Fragmente der Ghettomauer an und das beeindruckende Denkmal der ehemaligen Holzbrücke vom sogenannten kleinen ins große Ghetto.
Danach besuchen wir das Museum der Geschichte der polnischen Juden, „Polin“ genannt, nach dem hebräischen Wort für „Hier ruhe aus!“ oder auch „Polen“. Juden waren und sind bis heute eine in Polen anerkannte nationale Minderheit. Viele kamen im Mittelalter als Flüchtlinge aus Deutschland nach Polen und wurden von den Königen unter ihren besonderen Schutz gestellt.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen werden wir uns mit einer Ukrainerin treffen, die die zivilgesellschaftliche Hilfe für die ukrainischen Flüchtlinge in Warschau bis heute mitorganisiert. Ab dem Nachmittag ist Freizeit: Zeit für private Spaziergänge, Abendessen individuell.
3. Tag (Montag) Warschau
Am Vormittag setzen wir den Stadtrundgang fort, beschäftigen uns vor allem mit dem Wiederaufbau der Stadt nach dem Krieg: einige Stadtteile wie die Altstadt oder die berühmten Flaniermeilen der Krakauer Vorstadt-Straße und der Neuen Welt wurden weitgehend originalgetreu wiederaufgebaut, während an anderer Stelle Muster-Stadtteile des Sozialistischen Realismus entstanden.
Nach dem gemeinsamen Mittagsessen treffen wir uns mit einem Aktivisten, der uns mehr über die schwierige Situation von LGBTQ im heutigen Polen berichten kann. Danach haben wir noch die Gelegenheit, mit einer Vertreterin der Frauenstreik-Bewegung („Strajk Kobiet“) zu sprechen, die bis heute die "schwarzen Proteste" gegen das fast totale Abtreibungsverbot in Polen organisieren.
Danach spazieren wir zum Krasinski-Platz mit dem Denkmal des Warschauer Aufstandes 1944. Nach der Niederschlagung dieses zweiten Warschauer Aufstandes sprengten die Nazis große Teile der Warschauer Innenstadt in die Luft. In diese vollkommen leere und weitgehend zerstörte Stadt zogen dann die sowjetischen "Befreier" ein und etablierten ein von den meisten Polen ungewolltes kommunistisches Regime.
Danach: Freizeit. Die Reiseleiterin gibt gerne Tipps für Museen, weitere Sehenswürdigkeiten oder erholsame Spaziergänge an der Weichsel oder im Lazienki-Park.
4. Tag (Dienstag) Lodz
Am Morgen fahren wir mit dem Zug nach Lodz. Die Industriestadt liegt etwa anderthalb Bahnstunden von der polnischen Hauptstadt entfernt. Ein Wissenschaftler der Universität Lodz wird uns die „Stadt der vier Nationen“ oder auch „Stadt der vier Kulturen“ zeigen, also die der Polen, Russen, Juden und Deutschen, die im 19. Jahrhundert aus Lodz das „Manchester Polens“ machten.
Anders als Danzig und Warschau wurde Lodz im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört. Wie früher trifft hier Arm und Reich krass aufeinander, ehemalige Fabrikantenvillen und luxuriöse Einkaufszentren neben heruntergekommenen Arbeitersiedlungen und Werkstätten.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen in einem der Restaurants in der „Manufaktura“, einem modernen Einkaufs- und Freizeitzentrum auf dem Gelände einer alten Textilfabrik, treffen wir uns mit einer feministischen NGO, die nicht nur für die Rechte der Polinnen kämpft, sondern sich insbesondere dafür einsetzt, dass Frauen auch im öffentlichen Leben sichtbarer werden. So sollen Straßen, Plätze und Rondos in Lodz nicht nur nach Männern, sondern auch nach Frauen benannt werden.
Bei einer ersten großen Aktion im Winter 2018 wurden 20 Haltestellen vorübergehend nach Frauen benannt, die einst in der Nähe gelebt hatten. Die Aktion kam gut an. Worin das eigentliche Problem liegt und was als nächstes geplant ist, werden wir von der Chefin der Bürgerinitiative „Auf den Spuren der Frauen“ erfahren. Am Abend geht es per Bahn zurück nach Warschau.
5. Tag (Mittwoch) Warschau
Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Bus zur 60 km entfernten Gedenkstätte des ehemaligen SS-Vernichtungslagers Treblinka. Hier ermordeten die deutschen Besatzer fast alle Warschauer Juden, über 300.000 Menschen. In der Gedenkstätte wird die Reiseleiterin mehr über die "Aktion Reinhard" berichten.
Zurück in Warschau essen wir gemeinsam zu Mittag – und haben Gelegenheit, über den Besuch in Treblinka in der Gruppe zu sprechen. Der restliche Tag steht zur freien Verfügung.
6. Tag (Donnerstag) Warschau – Danzig
Nach dem Frühstück müssen wir die Hotel-Zimmer räumen, da wir am Nachmittag nach Danzig fahren. Am Vormittag treffen wir uns mit dem Journalisten Marcin Antosiewicz. Er war Korrespondent in Berlin und kann in Deutsch über die aktuelle Situation der Medien in Polen informieren.
Anschließend schlendern wir durch den Stadtteil Praga. Der frühere Vorort Warschaus am östlichen Ufer der Weichsel wurde im 2. Weltkrieg kaum zerstört und gilt daher heute als das ‚authentische Warschau‘. Praga diente wiederholt als filmischer Hintergrund für das Warschau der Vorkriegszeit (u.a. in dem Film „Der Pianist” von Roman Polański). Dort gibt es auch Gelegenheit zum Mittagessen.
Nach der Mittagspause fahren wir mit der Tram oder mit Taxis zum Ostbahnhof (Warszawa Wschodnia). Von hier fahren wir mit dem Zug nach Danzig.
Dort werden wir in einem urigen Restaurant Inka Niemczewska treffen. Sie ist eine engagierte Danzigerin und wird uns erzählen, wie sich die Stadt nach dem politischen Attentat auf den beliebten Oberbürgermeister Pawel Adamowicz weiterentwickelt hat, welche Schwierigkeiten die neue Oberbürgermeisterin Aleksandra Dulkiewicz zu bewältigen hat und wie die Stimmung in Danzig aktuell ist.
7. Tag (Freitag) Danzig
Am Morgen wird uns der Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Danzig-Langfuhr über das deutsch-jüdische und polnisch-jüdische Leben in der Stadt erzählen und auch Zeit genug haben, um mit uns zu diskutieren. Im Stadtteil Danzig-Langfuhr werden wir uns auch an den Schriftsteller Günter Grass erinnern, der hier geboren ist und seine Jugend verbrachte. Später bekam er für seine „Blechtrommel“ den Literaturnobelpreis, und sehr viel später bekannte er, als 17-jähriger in die Waffen-SS eingetreten zu sein.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen besuchen wir im Stadtteil Dolne Miasto (Niederstadt) die Nachbarschafts-Initiative "Inkubator". Dolne Miasto war jahrzehntelang – insbesondere in der kommunistischen Zeit – vernachlässigt worden und galt als „Asozialen-Viertel“. Das ändert sich seit einigen Jahren, auch dank der umsichtigen Politik der Danziger Stadtverwaltung, die eng mit dem "Inkubator" zusammenarbeitet und ihn finanziell fördert. Was ihn so erfolgreich macht, erfahren wir im Gespräch mit den Initiatorinnen. Abends: Freizeit und individuelles Abendessen.
8. Tag (Samstag) Danzig
Nach dem Frühstück erfahren wir auf einem Stadtrundgang durchs Danzigs Altstadt mehr über Geschichte und Gegenwart dieser Stadt. Gegen Ende des Krieges war Danzig weitgehend zerstört. Dennoch entschieden sich die Neuansiedler - zumeist aus dem Osten vertriebene Polen - für den Wiederaufbau der sehr deutsch anmutenden Altstadt. Wir werden das historische Rathaus sehen, den Artushof, die Marienkirche, den Fischmarkt und den Langen Markt.
Nicht weit entfernt von der Altstadt ist das Europäische Solidarnosc-Zentrum (ECS), das auf Initiative von Adamowicz entstand und seit nunmehr sieben Jahren in einem eigenen Gebäude in der ehemaligen Danziger Lenin-Werft untergebracht ist. Im ECS werden wir uns die Ausstellung zur Gewerkschaft Solidarnosc in ihrer europäischen Bedeutung ansehen und mehr über die zivilgesellschaftlichen Organisationen erfahren, die Räume im ECS nutzen dürfen. Anschließend ist Zeit für ein individuelles Mittagessen – am besten im Bistro oder dem Restaurant im ECS.
Am Nachmittag treffen wir uns mit einer Wissenschaftlerin, die uns mehr über die aktuelle Situation der Kaschuben erzählen wird, einer Minderheit, die über Jahrzehnte so angefeindet und diskriminiert wurde, dass ein großer Teil von ihr das Land für immer verließ. Dies änderte sich, als 2007 mit Donald Tusk ein stolzer Kaschube und Danziger zum ersten Mal Premierminister Polens wurde – später wurde er EU-Ratspräsident und Mitte Dezember 2023 zum zweiten Mal Premierminister.
Diesen letzten Tag unserer Reise beschließen wir mit einem festlichen Abendessen, währenddessen auch Zeit für Manöverkritik ist und für Vorschläge zu weiteren Reisen in die Zivilgesellschaft Polens.
9. Tag (Sonntag) Rückreise
Nach dem Frühstück oder auch gegen Mittag endet die gemeinsame Reise. Wer will, kann noch das sehenswerte Museum des Zweiten Weltkriegs besuchen und natürlich auch länger bleiben. Alle anderen treten individuell ihre Heimreise an.
Umstellungen und Änderungen im Detail sind möglich. Stand: 16. Januar 2024
Reiseleiterin: Gabriele Lesser
1980 besuchte Gabriele Lesser die Journalistenschule in Köln, als in Polen die Werftarbeiter streikten. Der Umschwung im damaligen Ostblock zog sie in seinen Bann, zumal Köln eine Metropole osteuropäischer Dissidenten wurde. Sie wechselte das Studienfach: statt VWL studierte sie Osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft. Nach Aufenthalten in Polen, Israel und Großbritannien berichtet sie seit 1995 für die taz aus Polen.
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