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Archiv-Artikel

mein freund birnbaum von JAN ULLRICH

Mein Freund Birnbaum ist eigentlich gar nicht mein Freund, sondern mein Kollege. Aber wir sind Brüder im Geiste. „In diesen Ordner kommen jetzt nur noch Gedichte rein“, sagt Freund Birnbaum zum Beispiel einfach, obwohl wir doch im „Ministerium für Aufgaben und Angelegenheiten“ arbeiten und sich die Akten nur so auf den Gängen und Fluren stapeln. Aber er hat eben eine feingeistige Ader. „Und in diesen Aktenordner packe ich jetzt die schottischen Highlands, die sind nämlich weit und schön und sehr ruhig“, erwidere ich sofort und erweise dem Vorgehen von Freund Birnbaum auf meine eigene Art Reverenz. Anschließend verstopfen wir den Aktenvernichter mit unseren Radiergummis.

Mein Freund Birnbaum und ich verstehen uns wirklich gut. Meist genügt nur ein Kopfnicken, und schon ist alles klar. Manchmal ist aber auch nichts klar, so sehr wir uns auch zunicken. Das macht aber nichts. Hauptsache, wir fühlen uns gemeint. Hinterher gehen wir dann in das Zimmer, wo die alten Männer mit den grauen Bärten sitzen. Dann trinken wir Tee, rauchen schwere Zigarren und drehen ab und zu an den großen, silbernen Kugeln. Bei Büroschluss verabschieden wir uns dann mit dem guten Gefühl, etwas bewegt zu haben.

So gehen die Tage dahin, bis Oberminister Bretzel mal wieder einen Erlass herausgibt. Aber da hat er nicht mit meinem Freund Birnbaum gerechnet: „Verrat, Verrat im Ameisenstaat!“, schreit er dann, und die kleinen Ärmchen von Freund Birnbaum fliegen wie Mühlenräder durch die Luft. „Nie werde ich diesen Erlass gutheißen.“ Das ist starker Tobak für Oberminister Bretzel. Doch einmal in Fahrt gekommen, schreit Freund Birnbaum laut: „Sie sollten sich was schämen!“ Und das macht Oberminister Bretzel dann auch.

Nur manchmal haben wir leider Streit. „Elvis Costello ist nicht der Name für mexikanische Brühwürfel“, sagt mein Freund Birnbaum dann, und ich fühle mich durchschaut. „Ich bin doch kein Terpentinersatz“, versucht Freund Birnbaum nun abzulenken. Doch da ist er gerade an den Richtigen geraten. „Nettogewicht!“, hallt es von meiner Seite über die Flure. Dann knallen wir mit den Bürotüren und verkriechen uns in unseren Zimmern. Aber die vertraute Arbeit will nicht mehr leicht von der Hand gehen. So aufgewühlt sind wir.

Wenn mein Freund Birnbaum und ich uns gestritten haben, dann versteckt mein Freund Birnbaum meine Aktentasche, und ich muss sie suchen. Hinterher gibt es immer ein großes Hallo. „Dass du meine Aktentasche unter dem Tisch von Kollegin Vogels versteckt hast, hätte ich nie gedacht!“, rufe ich erstaunt aus, und die Lachtränen rinnen, bis ich sie mir verschämt von der Wange streiche. „Sind wir uns jetzt wieder gut?“, fragt Freund Birnbaum. „Ja!“, rufe ich laut. Und schon herzen und drücken wir uns, dass es nur so eine Freude ist. „Uns kann keiner trennen!“ – „Genau!“ Dann werfen wir neue Radiergummis in den Aktenvernichter, schnappen uns den Ordner mit Gedichten und verlieren uns anschließend in den Weiten der schottischen Highlands.