: Game over
ZERWÜRFNIS Mit einer flapsigen Bemerkung hat EU-Ratspräsident Donald Tusk den Bruch mit Griechenland eingeleitet. Nun geht es vor allem darum, eine Eurokrise zu verhindern
■ Im ersten Rettungspaket hat Deutschland Griechenland gut 15 Milliarden Euro geliehen. Für das zweite Paket haftet der deutsche Staat mit weiteren gut 38 Milliarden Euro über den vorläufigen Rettungsschirm (EFSF).
■ Ist das alles? Da auch nach dem – nun wahrscheinlich geplatzten – Rettungsplan in den kommenden fünf Jahren ohnehin nichts aus Athen nach Berlin zurückfließen sollte, sieht Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seine schwarze Null unter dem Bundesbudget vorerst nicht in Gefahr. Allerdings kommen dazu die von der EZB gekauften griechischen Staatsanleihen und die Kapitalflucht: Insgesamt stehen für die deutschen Steuerzahler laut ifo Institut 87 Milliarden Euro auf dem Spiel. (afp, taz)
AUS BRÜSSEL ERIC BONSE
„Aus Plan B wird jetzt Plan A.“ Mit diesen Worten beschrieb der finnische Finanzminister Alexander Stubb die dramatische Wende im Schuldendrama um Griechenland. Plötzlich geht es nicht mehr um die Rettung des hoffnungslos überschuldeten Landes vor der Pleite, sondern um den Schutz der Eurozone vor möglichen Panikreaktionen. Anders gesagt: Die EU fürchtet eine Eurokrise 2.0 und bereitet die Abwehr vor.
Doch wie die aussehen soll, ist völlig unklar. Zwar betonten die Finanzminister der Eurozone in einer eilig einberufenen Krisensitzung am Samstagabend, sie würden alles tun, um „Integrität und Stabilität“ des Euroraums zu sichern. Man werde „alle verfügbaren Instrumente“ nutzen und sich eng mit der Europäischen Zentralbank (EZB) abstimmen, heißt es in einer Erklärung.
Doch was soll Brüssel tun, wenn am Montag die Börse in Athen abschmiert und die Griechen noch mehr Geld von den Konten abheben? Was soll sie tun, wenn Spekulanten wie 2011 auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone wetten und die Anleihemärkte in Italien oder Portugal attackieren? Als die Euro-Minister am Samstagabend auseinandergingen, wussten sie darauf keine Antwort.
Die Zeit der Kompromisse ist vorbei
Statt um Kompromisse, wie bisher in der EU üblich, ging es im Streit über Griechenland nur noch um Konfrontation – und um Schuldzuweisungen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dem schon der letzte Entwurf der Gläubiger zu weit gegangen war, warf Athen vor, einseitig die Verhandlungen beendet zu haben. Tatsächlich brach die griechische Delegation in Brüssel am Freitagabend die Gespräche ab. Kurz darauf kündigte Premier Alexis Tsipras das Referendum an.
Man muss aber auch die Vorgeschichte kennen. Schon am Donnerstag hatte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem weitere Verhandlungen mit der flapsigen Bemerkung abgelehnt, die neuen griechische Vorschläge seien „zu spät“ gekommen. Und am Abend, beim EU-Gipfel, wiederholte EU-Ratspräsident Donald Tusk seine verbale Spitze, nun sei das Spiel vorbei („Game over“).
Tsipras erwiderte sichtlich verärgert, Rezession und Massenverarmung in seinem Land seien kein „Spiel“. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel dann auch noch sagte, am Samstag sei endgültig Schluss, war das Tischtuch zerrissen. Es gab zwar noch ein als privat deklariertes Treffen zwischen Merkel und Tsipras, doch es blieb ohne Ergebnis.
Die Politik hat versagt – auf beiden Seiten. Doch von alldem wollten die „Euroretter“ nichts mehr wissen. Nach dreistündigen Beratungen mit ihrem griechischen Amtskollegen Gianis Varoufakis kamen die Finanzminister zu dem Schluss, dass die Gespräche gescheitert seien und das Hilfsprogramm endgültig am 30. Juni auslaufe. Das bedeutet: Griechenland erhält nicht das so dringend benötigte Geld, um alte Schulden zu bezahlen. Die Pleite rückt damit in greifbare Nähe.
Varoufakis hatte eine Verlängerung der Frist um mehrere Wochen beantragt, um das Referendum abzusichern – vergeblich. Der eigenwillige Starökonom, der in der Eurogruppe schon lange isoliert war, wurde von den weiteren Beratungen ausgeschlossen. „Ich fürchte, das wird das Ansehen der Eurogruppe als demokratische Institution dauerhaft beschädigen“, klagte er.
Es war ein Vorgeschmack auf das, was nun kommen könnte: Statt mit 19 tagt die Eurogruppe fortan nur noch mit 18 Mitgliedern. Griechenland ist seit Samstagabend nicht mehr dabei. Ob die Finanzminister wissen, welche Konsequenzen diese Entscheidung hat? Könnte dies der Moment der europäischen Währungsunion sein, der eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslöst, ähnlich der New Yorker Lehman-Pleite vor sieben Jahren?
■ Bei den deutschen Parteien ist die Zuspitzung der Krise auf ein unterschiedliches Echo gestoßen.
■ In der SPD-Spitze hieß es, Alexis Tsipras habe Europa mit der plötzlichen Ankündigung eines Referendums und dem Aufruf seiner Partei an die Bürger, mit Nein zu stimmen, vor den Kopf gestoßen.
■ Der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, warf der griechischen Regierung vor, ihr Land ins Chaos zu führen.
■ Die Linkspartei rief Angela Merkel zur Rettung Griechenlands auf. „Das Schicksal Europas liegt in ihren Händen“, erklärte die Partei- und Fraktionsspitze. Die griechische Bevölkerung habe das Recht, über ihr Schicksal abzustimmen.
■ Die Grünen fordern eine Einschaltung der europäischen Staats- und Regierungschefs. „Es ist verantwortungslos, eine solche Entscheidung nur der Eurogruppe zu überlassen“, kritisierte Grünen-Chefin Peter.
■ Die Partei- und Fraktionsspitzen aller im Bundestag vertretenen Parteien werden am Montag im Kanzleramt zu einer Krisensitzung zusammenkommen. (dpa, rtr, afp)
Alle Augen richten sich nun auf die Europäische Zentralbank. Sie muss entscheiden, ob sie Griechenland weiter die umstrittenen ELA-Notkredite gewährt, mit denen sich die griechischen Banken über Wasser halten. Wird diese Notlinie gestrichen, so dürfte dies sofort zu schweren Turbulenzen im griechischen Finanzsystem führen. Am Sonntag blieb die EZB bei ihrer Linie, die griechischen Banken weiter zu stützen. Doch schon am Mittwoch, dem Tag nach Ablauf des Hilfsprogramms, könnte sich das ändern.
Keine große Rolle dürfte hingegen das griechische Referendum spielen. Denn der Gegenstand dieser Volksbefragung hat sich nach Ansicht der Eurogruppe in Luft aufgelöst. Man sei nicht zu einer Vereinbarung gekommen, deshalb wisse er auch nicht, worüber die Griechen abstimmen sollen, so Dijsselbloem. Tsipras habe so negativ über die Vorlage der Gläubiger gesprochen, dass es auch keine Chance auf Umsetzung mehr habe.
Der letzte, nun zurückgezogene Vorschlag sah neue Rentenkürzungen sowie Mehrwertsteuer-Erhöhungen auf breiter Front vor. Demgegenüber sollte die Körperschaftsteuer weniger stark steigen als von Athen gewünscht. Das laufende zweite Hilfsprogramm über 7,2 Milliarden Euro sollte bis November verlängert auf rund 15 Milliarden Euro aufgestockt werden. Es hätte sich um eine Art Überbrückungskredit vor dem nächsten, dritten Hilfsprogramm gehandelt.
Stattdessen muss Griechenland nun die Pleite und einen Austritt aus dem Euro fürchten. Für den „Grexit“ gibt es allerdings keine Regeln, der Euro-Austritt ist nicht einmal im EU-Vertrag vorgesehen, wie Varoufakis betonte. Es war wohl seine letzte Wortmeldung aus Brüssel.