GEHT’S NOCH LANGSAMER? : Radfahren mit Virilio
Dunkel erinnere ich mich an einen Schnack des französischen Verkehrsphilosophen Paul Virilio, der sinngemäß so geht, dass man, wenn man schnell genug fährt, irgendwann nicht mehr in Paris ist, sondern in der Geschwindigkeit. Steht in irgendeinem Merve-Band.
Ähnliches gilt wohl auch für den Radfahrer, der hinter mir auf dem Radweg entlang des Kottbusser Damms fährt. Und hektisch klingelt, da ich offenbar seiner Geschwindigkeit im Weg bin. Wie es überhaupt unter Berliner Radfahrern modern geworden ist, andere anzuklingeln, wenn sie ihnen den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten versperren. Oder die Frechheit besitzen, an einer roten Ampel zu halten.
Auf der Höhe des Kotti zieht der Radfahrer an mir vorbei und brüllt mich an: „Ey, du Arschloch. Geht’s noch langsamer?
Moooment mal, Freundchen. Erstens gibt es keine Mindestgeschwindigkeiten für Radfahrer. Zweitens kannst du an mir vorbeifahren. Drittens fahre ich gern langsam. Und viertens bist du genau die Art von Nervsack, die auf der linken Spur der Autobahn per Lichthupe andere Verkehrsteilnehmer terrorisieren würde, wenn du ein Auto hättest. Im Grunde bist du gar kein Rad-, sondern ein Autofahrer … (Du Autofahrer – das ist eine meiner schlimmsten Beschimpfungen).
Die Ampel an der Skalitzer Straße unterbricht meinen aufgebrachten Gedankenfluss. Sie hält den pampigen Radfahrer, mich und die Autos hinter uns an. Plötzlich stehe ich meinem Antagonisten von Angesicht zu Angesicht gegenüber und könnte meinen Unmut loswerden. Ich blicke in ein unrasiertes Gesicht mit geröteten Augen.
Ihm ist meine grüne Jacke aufgefallen: „Ey, du bist ein kleines grünes Männchen.“ Hat der Typ möglicherweise schlicht ’ne Macke? Als die Ampel auf Grün schaltet, lasse ich den unbeherrschten Radfahrer vorfahren. Weg aus Berlin, zurück in die Geschwindigkeit. TILMAN BAUMGÄRTEL