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Archiv-Artikel

Die Kreischwalze

DO IT YOURSELF Man kann Holzdielen auch selbst abschleifen. Aber sollte man das wirklich tun? Eine Grenzerfahrung in drei Tagen

VON EVA THÖNE

Tag 1 Ich kann im Nachhinein nicht erklären, warum ich mich von meiner Mitbewohnerin überreden ließ, den Dielenboden in der neuen Wohnung abzuschleifen. Ich bin gar nicht so handwerklich begabt. Sondern eher so, dass ich mich zwar daran erfreuen kann, dass sich ein Bohrer lustig dreht. Im Baumarkt bestaune ich gern und ahnungsfrei allerlei Dübel. Andererseits muss ich einen Nagel nur anschauen, damit er sich verbiegt.

Vielleicht stellte mich meine Mitbewohnerin einfach nicht vor die Wahl. Vielleicht roch auch der frisch geschliffene, geölte Boden einer Freundin, den ich mal besichtigt hatte, so gut: nach Holz, also auch irgendwie nach Sauna, also auch irgendwie sinnvoll, denn vom dreckigen Ausschwitzen ist es ja nicht weit zum gereinigten Neuanfang, und den kann man immer gebrauchen. Außerdem war die neue Wohnung für Eimsbütteler Verhältnisse zwar geradezu unmoralisch günstig. Aber sie war eben auch ziemlich runtergerockt.

Auf jeden Fall stehe ich an dem Wochenende, bevor wir einziehen wollen, mit meiner Mitbewohnerin in einem Hamburger Kellerladen. Wer denkt, dass Bodenschleifmaschinenverleihe (ein Wort, das ich eines Tages einen Deutsch-Anfänger lernen lassen werde, nur so aus Gemeinheit) trendige Namen wie „Mc Schleif“ oder „Schleif is Schleif“ tragen, der irrt. Sie heißen: Bodenschleifmaschinenverleih.

Ein Name, den man nur in einer wirklich krisenresistenten Branche wagen kann. Im Bodenschleifmaschinenverleih gibt es als einzige Kundenbindungsmaßnahme dann auch Weingummi in einem großen Glaszylinder, wobei man sich beim Griff hinein immer ein bisschen ekelt, weil da vermutlich schon viele andere mit ähnlich ungewaschenen Händen hineingegriffen haben.

Eine freundlich-sachliche Frau erklärt sodann: Die Schleifmaschine hat eine Walze statt eines Fußes, auf den man Schleifhülsen schiebt. Man schaltet die Schleifmaschine ein und senkt die Walze – vorsichtig, sonst gibt es Kerben! – gen Boden.

Dann läuft man den Boden in Bahnen langsam ab, vorwärts und rückwärts; mehrmals und am besten mit Hülsen in vier unterschiedlichen Schleifstärken. In einem angeschlossenen Leinensack (erinnert an etwas, in das man Äpfel tut, und dann Pferden vors Maul spannt) soll sich der Holzstaub sammeln.

Für die Ränder, an die man mit der großen Maschine nicht kommt, gibt es eine Handschleifmaschine (eine Metallzunge an einem guglhupfförmigen Apparat). Am Ende wollen wir den Boden mit einer Poliermaschine mit Öl pflegen und versiegeln. Zwei Tage soll das Ganze dauern, 3 Zimmer und ein Flur, circa 50 Quadratmeter. Es klingt alles sehr vernünftig und machbar.

Wir hieven die diversen Maschinen-Ungetüme und Hülsen in die leere Wohnung im dritten Stock. Wir hängen sogar noch einen Lärm-Entschuldigungs-Zettel mit Smiley auf: „Wenn es zu laut wird, kommt hoch, sagt Bescheid, alles kein Problem“. Ich schäme mich für die Anbiederei, aber Schleifen soll laut sein.

Gegen den Holzstaub schlüpfe ich mit den Beinen in einen Tapezieranzug und mit dem Mund in einen Mundschutz. Ein 1-a-Breaking-Bad-Faschingskostüm für unter fünf Euro. Ich soll das Grobe mit der Walze machen, meine Mitbewohnerin mit der Guglhupf-Zunge die Feinheiten in den Ecken. Ich drücke den An-Knopf. Ich senke einen Hebel, die Walze trifft den Boden. Die Maschine kreischt wie am Spieß. Ich mache drei Schritte. Ziehe die Walze wieder hoch. Drehe mich um. Das Holz an der abgeschliffenen Stelle ist hell, rau. Hübsch.

Ich fasse Mut und ziehe eine Bahn: Walze senken. Gehen. Walze heben. Rückwärts gehen. Schleifmaschine eine Bahn weiterschieben. Wieder Walze senken. Wie eine Schnecke mit Beinen oder ein sehr, sehr alter Mensch tappe ich durchs Zimmer.

Schnell stellt sich die Sorte lethargischer Produktivität ein, die man von ganz besonders langweiligen Joggingrouten kennt: Einen Amüsement-Faktor gibt es nicht, aber man weiß, dass es was bringt. Und ganz selten gibt es doch kleine Spannungsmomente: die Aufregung, wenn man die Verlängerungsschnur an der Maschine fast überschleift. Der kleine, aber feine Horrorkick beim Wechseln der Schleifhülse, weil man vergessen hat, den Stecker zu ziehen und die Walze jeden Moment loskreischen könnte. Vom Griff bekomme ich eine Hornhaut – da, wo die Finger in die Handinnenfläche münden. Am Abend haben wir anderthalb Zimmer angeschliffen. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich Handwerker!

Tag 2 Am Morgen reißen wir übermütig den hässlichen PVC-Boden in der Küche heraus, weil unter den mehrere Zentimeter hohen Schichten eventuell Dielen lauern, deren alten Glanz man wieder herauskitzeln könnte. Was als mutiger Aktionismus beginnt, kommt mir, kaum ist der Boden in einem Maß, bei dem es kein Zurück mehr gibt, gelöst, nur noch geistig umnachtet vor: Unter zwei Schichten verklebten PVC-Böden und einer Pressholzplatte finden wir an manchen Stellen zwar tatsächlich Holz. Doch es ist splittrig und stellenweise von einem Wasserschaden verrottet. Unabschleifbar. Daneben braune Estrichstellen. Unsere Küche hat was von einem Höhlenboden. Außerdem entdecke ich in den Ecken der abgeschliffenen Räume Kratzer des Guglhupf-Schleifers. Ich bin frustriert.

Meine Schleifmaschine und ich grummeln durch das künftige Wohnzimmer. Ich zweifele am Schleifen. Als Kind wollte ich sowieso immer mit Teppichboden leben, denke ich. Und fürchterlich, wie vom Holzstaub alles auf diese dreckige Art weich wird, das Gesicht trotz Schutz, die Finger so mürbe.

Am frühen Abend ist kein Ende in Sicht. Wir klingeln beim Untermieter, es ist sein erster freier Tag seit Monaten, aber was will man machen, wir lächeln entschuldigend, nur noch heute Abend, dann sind wir bestimmt fertig. Ein paar Stunden abendlicher Schleiferei gehen ins Land. Erschöpft bestellen wir kurz vor Mitternacht noch Burger. Der Holzstaub legt sich sanft auf die Sesambrötchen. Die Moral läge gerne am Boden, wenn sie könnte. Aber sie kann nicht. Denn der Boden ist noch nicht fertig.

Tag 3 Beschämt von der Ruhestörung schleichen wir uns morgens in den dritten Stock. Den Entschuldigungs- Zettel hat noch keiner abgenommen oder zerkaut und uns in den Briefkasten geworfen. Am frühen Abend sind wir fertig mit dem Schleifen. Wir putzen. Wir atmen auf. Zu früh: Nachdem man das Holzöl auf dem Boden verteilt hat, sollen wir die Poliermaschine an einem Griff durch den Raum führen, an ihrem Unterbau wird ein Polierschwamm mit einem Klettverschluss gepuffert, der rotierend über den Boden eiert.

Die Poliermaschine entpuppt sich als unzähmbar, weil das Rotieren kräftemäßig kaum im Zaum zu halten ist. Macht man die Maschine an, ist es wie vertikales Rodeoreiten: Man wird nicht abgeworfen, sondern geschleudert. Kaum ist die Maschine an, fliegt meine Mitbewohnerin an ihrem Griff lächelnd gegen die Wand.

Verzweifelt googele ich nach Lösungen. Bei Gutefrage.net werden allerlei Fragen beantwortet, deren Sinnhaftigkeit zumindest nicht auf der Hand liegt („Kann ich Wäsche im Backofen trocknen?“). Aber eine Antwort auf diese sinnvollste aller Fragen finde ich natürlich nicht. Und in den Tutorial-Videos auf Youtube von Schleifmaschinenherstellern führen Männer vom Typ C&A-Männermodel in Karohemd geradezu provozierend leicht Poliermaschinen durch lichtdurchflutete Räume. Ich versuche den Druck eher nach unten zu verlagern. Ich fliege gegen die Wand.

Irgendwann, Erschöpfung ist längst in Wahn umgeschlagen, und dieser in Albernheit gemündet, polieren wir den Boden, halb von Hand, halb per Poliermaschine. Kichernd reibe ich mit einem Fetzen das Öl ins Holz und stelle mir einen B-Horrorfilm vor, in dem eine Poliermaschine nachts erwacht und ahnungslose Amateur-Schleifer bis auf die Knochen poliert.

Dass wir irgendwann fertig sind, kann ich kaum glauben. Ich bin müde. Ich schaue auf den Boden. Ich atme aus. Der Boden ist nicht so hell wie gedacht, an manchen Stellen gibt es Farbkanten und einige Kratzer. Aber er riecht nach Sauna und sieht matter aus. Ich bin recht begeistert.