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Archiv-Artikel

„Er wird uns keine Selektoren vorlesen“

AUSSCHUSS Opposition kündigt Klage gegen Verfahren der NSA-Aufklärung an. Grüner Ströbele: schwarze Stunde fürs Parlament

AUS BERLIN ASTRID GEISLER

Union und SPD im Bundestag sprechen von einem sinnvollen ersten Schritt zur Aufklärung des Skandals um die brisanten NSA-Selektorenlisten. Die Opposition befürchtet einen Vertuschungsversuch des Kanzleramts: Der NSA-Untersuchungsausschuss hat mit den Stimmen der Koalitionsvertreter ein Procedere beschlossen, wie er die NSA-Suchbegriffe überprüfen will.

Demnach will der Ausschuss noch im Juli eine „Vertrauensperson“ vorschlagen, die von der Bundesregierung ernannt wird und statt der Abgeordneten die geheime Liste mit NSA-Suchbegriffen einsehen soll. Den Arbeitsauftrag dürfen die Parlamentarier bestimmen. Allerdings darf die „Vertrauensperson“ dem Untersuchungsausschuss über ihre brisanten Funde nur eingeschränkt Auskunft geben. Sie braucht vielmehr eine Aussagegenehmigung der Regierung für das, was sie den Abgeordneten verrät. Und dazu werden wohl keine Details gehören.

So erwarten die Ausschussmitglieder nicht, vom Untersuchungsbeauftragten die Namen von einzelnen europäischen Firmen, Politikern oder Institutionen zu erfahren, die im Visier der NSA standen. „Er wird uns keine Selektoren vorlesen“, sagte der SPD-Obmann Christian Flisek. Aber das sei für die politische Bewertung auch nicht nötig. Schließlich würden die Abgeordneten „typisierte“ Informationen über die Listen bekommen, etwa: Wie viele DAX-Konzerne sind gelistet? In welcher Branche haben diese Firmen gearbeitet?

Ziel sei es, nach der Sommerpause endlich „belastbare Ergebnisse“ über die vom BND aussortierten NSA-Selektoren zu bekommen. Deshalb solle die „Vertrauensperson“ spätestens in der nächsten Sitzungswoche des Bundestags benannt werden.

Die Opposition reagierte empört auf den Beschluss. Die Grünen-Vertreter im Ausschuss stimmten dagegen, die Linke enthielt sich. Beide Fraktionen kündigten an, gemeinsam vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, und drohten mit einem Boykott des Verfahrens. Der Grünen-Obmann Konstantin von Notz wertete das Vorgehen als Versuch der Bundesregierung, „die Kontrolle durch das Parlament selbst zu kontrollieren“ und „den Skandal abzumoderieren“. Sein Parteifreund Christian Ströbele sprach von einer „dunklen Stunde des Parlaments“. Die Koalition „unterwerfe“ sich den „Wünschen des Kanzleramts“. Die Obfrau der Linksfraktion, Martina Renner, kritisierte das Verfahren als „Selbstaufklärung“ des Skandals durch die Bundesregierung: „Wie groß muss dieser Spionageskandal sein, dass man zu diesem Verfahren greift?“

Wen Union und SPD als „Vertrauensperson“ benennen werden, steht noch nicht fest. Unter Ausschussmitgliedern kursierte der Name des pensionierten Bundesverwaltungsrichters Kurt Graulich. Graulich war beim Bundesverwaltungsgericht bis vor Kurzem für Nachrichtendienst-Recht zuständig.

Am Nachmittag und bis nach Redaktionsschluss befragte der Ausschuss Klaus-Dieter Fritsche, der bis 2009 Geheimdienst-Beauftragter im Kanzleramt war und heute Merkels Mann für die Dienste ist. Fritsche widersprach einer Aussage des Ex-BND-Chefs Ernst Uhrlau. Der hatte gesagt, er habe 2006 bei Fritsche den Fund problematischer NSA-Selektoren zum Unternehmen EADS „nicht unerwähnt gelassen“.