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Archiv-Artikel

„Wunsch nach Universallösung“

KUNST Der Künstler Fabian Reimann über seine Faszination für den Utopisten Christian Gottlieb Priber, der die Kategorien Eigentum, Rasse, Klasse und Geschlecht verwarf

Christian Gottlieb Priber

■ Der 1697 in Zittau geborene Jurist flieht 1735 aus der sächsischen Oberlausitz über London in eine neu gegründete Kolonie nach Nordamerika. Dort schließt er sich einem Indianerstamm an, heiratet die Häuptlingstochter und notierte den einzig bekannten Entwurf einer weltlichen Utopie des 18. Jahrhunderts.

■ In Zusammenarbeit mit den Städtischen Museen in Zittau zeigt die ACC Galerie in Weimar bis zum 9. August unter dem Titel „Kingdom Paradise – Christian Gottlieb Priber und die Sozialutopien der Gegenwart“ künstlerische Positionen, die sich mit Pribers und anderen historischen wie zeitgenössischen Utopien auseinandersetzen.

■ Dabei ist auch Fabian Reiman, ein Spezialist für Utopien. Der 1975 geborene Künstler studierte Kultur- und Kunstwissenschaften in Bremen, Grafikdesign, Buchkunst und Bildende Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sowie Textuelle Bildhauerei in Wien. Zuletzt erhielt er ein Stipendium der Deutschen Akademie Rom. Reimann lebt und arbeitet in Leipzig.

INTERVIEW SARAH ALBERTI

taz: Herr Reimann, der Utopist Priber ließ bei seinem Aufbruch nach Amerika seine Frau, seine vier Kinder und seinen Job zurück – warum?

Fabian Reimann: Er war unzufrieden mit dem Korsett dieser Gesellschaft, in das er hineingeboren wurde. Als Jurist hat er Missstände sensibel wahrgenommen. Viele sind damals aus Armut in die neue Welt gegangen. Priber wollte wirklich eine neue Heimat finden und am liebsten auch noch eine neue Welt nach seinen Vorstellungen entwickeln, die frei sein sollte von Zwängen, wie einer patriarchisch geprägten Familienethik.

Bereits in Deutschland hat er an einem Konzept für ein ideales Gemeinwesen gearbeitet, vereinfacht gesagt ging es ihm um eine Gemeinschaft ohne die Kategorien Eigentum, Rasse, Klasse oder Geschlecht – wie sollte das aussehen?

Er hatte im beginnenden Kapitalismus die Vorstellung, dass man nicht aus Ausbeutung heraus eine Welt aufbaut. Es ging ihm um eine gerechtere Verteilung von Eigentum. Zudem sollte jeder nach seinen Talenten arbeiten, Frauen sollten sich ihre Männer aussuchen und nach Bedarf austauschen können.

Alles was wir über seine Utopie wissen, wissen wir nur aus den Aufzeichnungen Dritter.

Diese Quellen belegen, dass Priber stets handbeschriebene Zettel mit sich führte. Auch als ihn Händler 1743 gefangen nahmen, hatte er wohl ein Manuskript bei sich. Die Geschichte seines Todes amüsiert mich zynischerweise sehr: Eine Frau hat mit Opossumfett gekocht, dieses hat Feuer gefangen, auch Pribers Zelle ist entflammt ebenso wie ein benachbartes Munitionslager. Er ist mit einem großen Knall aus der Welt gegangen. Ob dabei auch sein Manuskript verbrannt ist, weiß man nicht. Wenn es aufbewahrt wurde, könnte man abgleichen, wie genau seine soziale Utopie aussah und ob er sogar Utopien des 19. Jahrhunderts beeinflusst hat.

Derzeit macht Pro Sieben aus dem Aufbau einer anderen Gesellschaft ein Reality-Format und wir diskutieren über das bedingungslose Grundeinkommen. Sind das die Utopien von heute?

Alle Utopien spiegeln die Zeit, in der sie verfasst sind. Heute werden wir auf technischer Ebene tagtäglich damit überrascht, dass das, was wir nicht für möglich gehalten haben, möglich ist. Die Ingenieursleistungen überholen die Ideen. Andererseits haben viele das Gefühl, dass es so, wie es jetzt ist, nicht weitergehen kann. Wir bewegen uns auf zunehmende soziale Schwierigkeiten und kulturelle Unterversorgung zu.

Also orientieren sich Utopien heute eher am Machbaren?

Utopien sind oft der Wunsch nach einer Universallösung, wie sie auch Priber formuliert haben mag. Das funktioniert nur so lange, wie sich alle an die Regeln halten. Man muss den Dingen aber ein Maß an anarchischer Selbstorganisation zugestehen. Heute machen viele einzelne Gruppen für sich ihre Entwürfe, ziehen aber noch nicht an einem Strang. Der nächste Schritt ist, die Möglichkeiten der Vernetzung stärker zu nutzen.

Apropos Vernetzung: Für die Ausstellung sind Postmeilensäulen Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit. Diese wurden während der Regierungszeit August des Starken aufgestellt, um an wichtigen Post- und Handelsstraßen Entfernungen anzugeben – wie ein frühes Google Maps.

Das war die erste mir bis heute bekannte Kartierung und Ökonomisierung der Zeit. Ich habe für die Ausstellung eine solche Distanzsäule für utopische Orte gebaut, die nach Städten, Inseln, Ländern und Planeten kategorisiert ist, zum Beispiel Utopia, Atlantis, El Dorado oder Eolomea, ein Wunschplanet aus Defa-Filmen.

Was ist der Ausgangspunkt für die jeweilige Distanzangabe zu diesen Orten?

Der Betrachter. Es ist ja eine Reise im Kopf. Dazu gibt es eine große Weltkarte, zwei mal fünf Meter, zerlegt in vierzig Felder, auf der Auswanderer- und Weltentdeckerfantasien mit Mythologien von fernen Ländern gemischt sind. In Deutschland und Mitteleuropa findet man Indianer im Tiergarten, Buffalo Bill, Franz Kafka und Darstellungen von Winnetou in Ost und West, denn gerade in der DDR gab es einen ganz starken Indianermythos. Diese „Another Earth Map“ wird bis zum zweiten Teil der Ausstellung im kommenden Jahr in Zittau vollständig sein.

Utopien begleiten Sie schon lange – etwa im Buch „Another Earth Catalog“ über die Sechziger und 2011 in einem anderen über eine kommunistischen Studentengruppe.

Es ergibt sich ein Selbsteklektizismus. Mich interessieren vergangene Zukunftsentwürfe, ehemalige Weltrekorde, da begegnen sich Personen des Kalten Krieges, der Atomspionage, Zukunftsentwürfe und Utopien. Gerade arbeite ich an einem Buch zu Weltraumkolonien.

Auch eine Form der künstlerischen Forschung. Du könntest auch eine Doktorarbeit über deine künstlerischen Themen schreiben.

Die habe ich schon abgebrochen. Ich bin ja Wissenschaftler. Ich habe Kulturwissenschaft studiert und mit Magister abgeschlossen, genau wie mein Kunststudium. Ich habe relativ früh gemerkt, dass die sprachliche Form nicht die ist, in der ich mich so artikulieren kann, wie ich es mir vorstelle. Ich kann besser mit Bildern, Bild-Text-Kombinationen oder Bildessays vermitteln. Ich möchte nicht sagen: So ist es. Ich möchte Optionen aufzeigen, wie man die Welt verständlich machen kann.