: Stadt in der Stadt
SCHLOSSNEUBAU Das größte Bauvorhaben Berlins feiert heute Richtfest. Hinter dem eigentlich langweiligen Betonklotz tut sich ein interessantes städtebauliches Konzept auf – die Ausstellungsflächen dagegen verwirren
Das Richtfest ■ Freitag, 12. Juni 2015: Das Richtfest startet um 12 Uhr im westlichen Schlosshof, Daniel Barenboim und die Staatskapelle machen dazu Musik, 19.30 Uhr gibt das RSO Berlin ein Abendkonzert.
■ Samstag, 13. Juni: Tag der offenen Tür, ab 10 Uhr Einlass für Besucher, 14 Uhr Platzkonzert der Bundeswehr, 17.30 Uhr Auftritte von Musikhochschulstudenten, 20 Uhr Konzert der Band „Abby“.
■ Sonntag, 14. Juni: 2. Tag der offenen Tür, 10 Uhr Einlass für Besucher, von 11 bis 18 Uhr Musikdarbietungen, Konzerte, Stände, Führungen, Präsentationen der Museen. Eintritt ist gratis, Führungen kosten extra.
■ Anmeldungen und Infos unter www.sbs-humboldtforum.de
Der Protest ■ Während die einen Richtfest feiern, veranstalten die anderen ein „NICHTfest“: Unter dem Titel „SIE feiern in Weiß, WIR trauern in Schwarz“ laden die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und berlin-postkolonial heute um 11 Uhr zu einer Protestkundgebung mit Reden, Dichtung, Spoken Word Art und Gesang am Lustgarten am Berliner Schloss/Humboldt-Forum ein.
■ Die Initiativen kritisieren, dass im neuen Stadtschloss auch Ausstellungsobjekte einen Platz finden sollen, die in der Kolonialzeit nach Berlin verschifft wurden. Sie befürchten, dass der Kolonialismus, der einst von der Hauptstadt ausging, durch die Ausstellung rehabilitiert wird. (taz)
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Rohbauten sind wie mit Tüchern verhängte Porträts. Man glaubt zu wissen, wie die Architektur einmal aussehen wird. Zugleich besteht in dieser Phase noch genügend Spielraum für die eigene Vorstellungskraft, dem Bauwerk dieses oder jenes Aussehen, diese oder jene Kontur anzudichten, wie dies der Stararchitekt David Adjaye einmal beschrieb. Rohbauten sind spannend.
Am Berliner Schlossplatz ist dies umgekehrt: Weil seit Jahrzehnten um das größte Bauprojekt der Stadt – das Berliner Stadtschloss alias Humboldt-Forum – gekämpft, gestritten, es beschlossen und finanziert, entworfen, und schließlich 2012, nach zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen, vom italienischen Architekten Franco Stella begonnen wurde, hat mittlerweile jedes Kind eine Vorstellung von der neobarocken Schlossrekonstruktion.
Als kürzlich, im Vorfeld des heutigen Richtfests, der Bauherr Manfred Rettig, Vorstand der Stiftung Berliner Schloss, einen Rundgang über die staubige Baustelle veranstaltete, richtete sich der Blick schnell ins Innere der Zwitterarchitektur aus alt und neu. Mehr en passant wurde registriert, dass bis zum Festakt noch tüchtig an der Fassade und an der neuen Kuppel gebastelt wird, der Rohbau des Schlosses in der Berliner Mitte jetzt fertig ist: Auf der drei Fußballfelder großen Fläche (117 mal 184 Meter) erhebt sich das vierstöckige Humboldt-Forum als 35 Meter hoher grauer Betonblock. Franco Stellas moderner Ostfassade im langweiligen Bürogebäude-Look begegnet die Westseite mit hohem Triumphbogen und der 60 Meter hohen Kuppel.
Zur Museumsinsel hin sind die beiden Säulenreihen der ehemals barocken Schlüterfassade roh aus dem Bau ausgeschnitten. Und an der Breiten Straße reihen sich im schier endlosen Takt Wand- und Fensterfelder, die wie jene an der Nord- und Westseite einmal historisch rekonstruiert werden und die wir schon hunderte Male auf Abbildungen gesehen haben.
Stellas Schlossrekonstruktion der alten Preußenresidenz wird in der Ansicht genauso kommen, wie wir es uns vorgestellt haben: eine unzeitgemäße Architektur im 21. Jahrhundert, ohne Vision, die von außen betrachtet, spannungslos bleibt. Dass es ausgerechnet Wilhelm von Boddien (73), Vorstand des Schloss-Fördervereins, Preußenfan und umstrittener Spendensammler für die barocke Fassadenrekonstruktion, ist, der zum Richtfest mit viel Politprominenz das „Moderne“ am Humboldt-Forum anspricht – „das Schloss wird ein Niedrigenergiehaus“ –, klingt da schon fast paradox.
Worauf kann sich Berlin dann freuen am Tag-der-offenen-Tür-Wochenende für das 590 Millionen Euro teure Bauwerk, das 2019 als Humboldt-Forum für die außereuropäischen Sammlungen, für Exponate der Humboldt-Universität und jene der Berliner Geschichte eröffnet werden soll?
Wie eine kleine Stadt
Darauf, dass der Rohbau so grau in grau daherkommt, darauf, dass jetzt endlich „die Spendenbereitschaft anzieht“, wie Rettig erklärte? Rund 36 Millionen Euro der 80 Millionen für die barocken Fassaden sind beisammen. 15 Millionen Euro etwa wurden kürzlich von einem anonymen Spender und eine Million von Maren Otto, Witwe des Otto-Versandhaushändlers, überwiesen. Darauf, dass 100.000 Kubikmeter Beton verbaut wurden – so viel wie für eine kleine Stadt. Oder dass seit der Grundsteinlegung 2012 alles im Termin- und Zeitplan liegt und das historische Zentrum sich Stück für Stück verdichtet? Darauf, dass hier und da schon historische Sandsteinteile auf der Baustelle herumliegen?
Wohl kaum. Das Spannende am Humboldt-Forum wird sein, wie das Innenleben des Bauwerks funktioniert und wie der Bau sich zum städtischen Umfeld verhält. Ein hermetisch abgeschlossener Block entsteht nicht. „Das Haus wird einmal ein offenes Haus sein, Tag und Nacht“, sagt Manfred Rettig und zeigt auf die Wege durch die zentrale Passage und quer durch den Schlüterhof, den man vom Lustgarten im Norden nach Süden zur Breiten Straße kreuzen kann.
Auch die Mitte des Bauwerks erhält einen städtischen Akzent. Der Schlüterhof, ein imposanter Platz mit einmal barockem Fassadenschmuck, auf dem über 1.000 Menschen bei Großveranstaltungen Platz finden können, erinnert an die bauliche Figur einer Plaza Mayor in Spanien oder an eine Piazza in Italien: Er ist steinern, umbaut, urban, wie ein schöner großer Stadtraum. Schließlich soll der nur etwas kleinere westliche Eingangshof hinter dem Eosanderportal als überdachtes, barock inszeniertes Entree mit Ticketschalter, Gastronomie, Veranstaltungs- und Ausstellungsflächen genutzt werden. Die Decke ganz oben wird aus Glas sein, man blickt zur Kuppel, zum Himmel hinauf.
BAUHERR MANFRED RETTIG
Rohbau-spannend wird es auch, wenn man in die ersten Geschosse schaut, die allesamt modern gestaltet werden. Es sind hohe Etagen, in denen im ersten Obergeschoss die wissenschaftlichen Exponate der Humboldt-Universität und die Schau Welt.Stadt.Berlin präsentiert werden sollen. Außerdem Bibliotheksräume oder die Skulpturengalerie im Ostteil – ein „Spiegelsaal“ für jene „geistigen Schätze“, die fürs „Schloss der Kulturen der Welt“ richtungsgebend sein sollen.
Kritiker des Gesamtkonzepts haben insbesondere die 23.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche für die außereuropäischen Sammlungen, jene „Kulturen der Welt“, ins Visier genommen. Ist diese Fläche doch um 20 Prozent kleiner ist als die bisherige in den Museen Dahlem. Was stimmt. Hinzu kommt, dass die zukünftigen Räume für die Großobjekte im ersten Obergeschoss nur über Umwege zu erreichen sind und man ab 2019 bis hinauf unters Dach steigen muss, um alle ethnologischen Exponate zu betrachten.
Der Gedanke, dass an diesem symbolisch aufgeladenen Ort der Weltkulturen den Besuchern die Puste ausgeht, wäre es wert, die Raumkonzeption zu überdenken. Hier wird der Gründungsintendant Neil MacGregor, derzeit noch Direktor des British Museum in London, sich etwas einfallen lassen müssen.
Denn der hohe Anspruch des Humbold-Forums, den Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), auch dahingehend formuliert hat, dass an diesem Ort zudem die Geschichte der Kulturen der Welt – also inklusive des kolonialen Kunstraubs –, erzählt wird, benötigt solch spezifische Flächen. Parzinger: „Unser Anspruch an das Humboldt-Forum ist, neue Präsentationsformen für die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin zu schaffen. Wir wollen weg von der eurozentrischen Sicht, hin zu einem ,shared heritage‘ mit den Herkunftsgesellschaften – die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst werden die Geschichte und Geschichten ihrer Sammlungsobjekte nun nochmals ganz neu erzählen und auch den sich immer wieder verändernden Umgang damit aufzeigen.“
Einstweilen können die Besucher des Richtfests und jene am Tag der offenen Tür sich bei einer „Tour architecture“ durch das Haus an den großen Fensterflächen und Galerien erfreuen. An verschiedenen Aussichtspunkten im Gebäude hat man einen guten Blick auf Berlin und seine Bauten. Der städtebauliche Kontext zum Fernsehturm, zur Spree, zum Alexanderplatz, zum Roten Rathaus, zu den Linden und der Oper gegenüber dem Zeughaus wird aus dem Schloss heraus in einer neuen Perspektive erlebbar. Die Berliner Mitte ist auch ohne Schloss gar nicht mal so schlecht.