Richtige und schiefe Sätze

Man kann’s ja kaum noch glauben, wer sich heute angeblich alles auf die Hamburger Schule bezieht. Aber wenn einer, der bislang als Chef des Labels Lolila die Musik anderer herausgebracht hat oder über die Musik anderer geschrieben hat, einen Song namens „Wir brauchen mehr Texte“ singt und in dem es heißt: „Wir wollen Sätze, richtige Sätze, etwas, wofür es sich lohnt aufzusteh’n“, dann kommt man nicht mehr um die Assoziation herum. Also: Daniel Decker mag Wahlberliner sein, aber sein erstes Album „Weißer Wal“ ist so was von Hamburger Schule wie nur was.

Tatsächlich gelingt es Decker, der bislang unter dem Namen Pawnshop Orchestra Musik gemacht hat, eine Art Schnittmenge aus einigen der bedeutendsten Bands der Hamburger Schule zu ermitteln, ohne sich allzu sehr an die längst Klassiker Gewordenen anzubiedern. Von Tocotronic hat er das Parolenhafte, ohne so kryptisch zu sein wie ein Dirk von Lowtzow bisweilen. Vom den frühen Blumfeld die Wut, in der man ausspucken muss, was man zu sagen hat, ohne den Hörer gleich mit Distelmeyer’schen Wortkaskaden erschlagen zu wollen. Und von den Sternen kommen die trockenen Gitarren, die bisweilen einen erstaunlichen Sog entwickeln, ohne sich aber gleich im Funk zu verlieren.

Am Ende kann es aber egal sein, worauf sich Decker bezieht. Seine Songs stehen allein für sich. Mit einem Furor, der in Kontrast steht zu seiner netten Stimme, beobachtet er seine Generation, die an sich verzweifelt („Wir sind im Krieg gegen uns selbst“), die wegen nie besessener Ideale Phantomschmerzen empfindet („Wenn man nachts aufwacht und merkt, dass das, was man macht, doch nicht alles gewesen sein kann“), sich zu Größerem verpflichtet fühlt, aber fragt, was das sein könnte („Wir wollen niemanden stürzen, wir wollen nur etwas verändern“). Aber das Beste: So sperrig sich das hier lesen mag, so rund klingen die Songs, wenn Decker sie singt.

Ein solche textliche Klarheit hätte man Mia. schon immer gewünscht. Doch auch auf ihrem neuen Album „Biste Mode“ trällert Sängerin Mieze mal wieder allzu viele windschiefe Metaphern, die dafür aber zumindest im Titelsong in schönsten Berlinerisch. Auch musikalisch besinnen sich Mia. mit quietschenden Synthies und knarzenden Gitarren auf ihre Anfangstage. Dieser Electro-Punk war damals, Anfang der nuller Jahre, durchaus aufregend, wurde dann aber doch nicht so recht zur Berliner Schule. War vielleicht besser so.

THOMAS WINKLER

■ Daniel Decker: „Weißer Wal“ (Tumbleweed/Broken Silence); Live am 13. 6., 20 Uhr, Posh Teckel

■ Mia.: „Biste Mode“ (We Love Music/Universal)