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Archiv-Artikel

Narrativ der Verschachtelung

FILM „La Trattativa – Die Verhandlung“ von Sabina Guzzanti veranschaulicht, wie es in Italien zum Pakt zwischen Staat und Mafia kam, verheddert sich aber im komplexen Geflecht des Materials

Wo die Möglichkeiten eines Reenactment scheitern, setzt Sabina Guzzanti auf dokumentarisches Material

Es hält sich das Vorurteil, es gebe in Deutschland kein Problem mit der Mafia. Expertin Petra Reski trifft mit ihrer Polemik, nach welcher die Mafia in Deutschland „eher so auf Sommerfrische“ sei (taz, 11. April 2015), daher durchaus einen Punkt. Und mit dem vermeintlichen Abstand lässt sich außerdem umso humoriger auf die italienischen Ganoven blicken. Anhand diverser Filmdarstellungen könnte man diese Mafiosi gar lieb gewinnen. Ein bisschen Pasta, ein bisschen Erpressung, im Grunde aber alles ganz herzlich-harmlos.

Dieses Bild ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass nur wenige die erste Vorstellung von Sabina Guzzantis Film „La Trattativa – Die Verhandlung“ im Lichtblick-Kino sehen wollten. Dass sich bei unheimlichen Geräuschen im Saal aber dennoch so etwas wie Furcht einstellte, ist zum einen wohl auf die Schreckhaftigkeit der Autorin zurückzuführen. Möglicherweise aber auch darauf, dass die in Guzzantis Film verhandelte Thematik mitsamt Verbindungssträngen wirklich furchterregend ist.

Der englische Filmtitel sorgt für Erhellung: „The State-Mafia Pact“. Um ihn geht es in „La Trattativa“. Einen Pakt, den es offiziell natürlich gar nicht gibt. Guzzanti gelingt es aber dennoch, derartige, sehr wahrscheinliche Vereinbarungen sichtbar zu machen – indem sie nämlich zahlreiche Indizien zusammenträgt, die im Grunde keinen anderen Schluss zulassen. Sie greift hierfür vor allem auf Nachstellungen von Situationen mit Schauspielern zurück. Darunter: Verhöre, Zeugenaussagen, Übermittlungen geheimer Informationen durch Infiltrierte oder Kooperierende.

Gleich die ersten paar Szenen von „La Trattativa“ sind hierfür beispielhaft. Und zwar nicht nur, weil in ihnen Gaspare Spatuzza (Enzo Lombardo) zu sehen ist, ein hochrangiges und seit 1997 inhaftiertes Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra, und wie dieser Licht in eine unendlich lange Liste bisher unaufgeklärter Mordfälle bringt („Den habe ich erschossen“, „Ahh, ich erinnere mich. Von uns erschossen“). Sondern auch, weil die Regisseurin – die für ihren Film übrigens selbst einige Rollen übernommen hat – für die ersten Minuten ein Narrativ der Verschachtelung gewählt hat, das erahnen lässt: Ab hier ist Dickicht.

So müssen erst mal viele Gefängnistüren aufgeschlossen werden, damit „La Trattativa“ beginnen kann. Doch hinter diesen Türen erfährt man auch keine Schonung, Fernsehbilder von Explosionen flackern auf. Wo die Möglichkeiten eines Reenactment scheitern, setzt Guzzanti auf dokumentarisches Material. Jenes konzentriert sich auf die Bombenserie im Italien der frühen 90er Jahre. Wichtige Personen des Rechts kamen auf diese Weise ums Leben, eine sich offen artikulierende Opposition. Darunter der Richter Paolo Borsellino, der sich maßgeblich für die Zerschlagung der organisierten Kriminalität einsetzte. Oder Giovanni Falcone, ein Jurist, spezialisiert auf die Beziehungen zwischen Politik und Mafia. Die Jahre, in denen Gaspare Spatuzza einen mit 1.000 Kilogramm TNT beladenen Fiat in die Luft jagte – Borsellino starb so –, sie sind die Schlüsselphase, um die es „La Trattativa“ geht. Es ist die Zeit, die den Pakt zwischen Staat und Mafia erst ermöglicht haben soll.

Denn irgendwann enden die Anschläge. Und die politische Landschaft Italiens ändert sich. Die Partei Forza Italia erscheint auf der Bildfläche und mit ihr Silvio Berlusconi. Der Artikel 41b wird abgemildert – ein 1975 in Kraft getretenes Gesetz, das die Kommunikation zwischen inhaftierten Mafiosi und der Außenwelt erschwert. Guzzanti entlässt mit einem Italien-Bild, das schauern macht. Die Unmenge an genannten Namen, die schiere Masse an Informationen: unmöglich, alle Ereignisse nachzuvollziehen. Die Verhedderung kann symbolisch für das Wirken der Mafia stehen. Es ist zu leicht, vor derartiger Komplexität zu kapitulieren. CAROLIN WEIDNER

■  „La Trattativa – Die Verhandlung“ (OmeU): 14. 6., 19 Uhr, Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77