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Archiv-Artikel

Nach den Kreischplatten wieder konventioneller

KONZERT „Faith No More“ gehörten in den Neunzigern zu den erfolgreichsten Rockbands. Jetzt sind sie auf Comebacktour

Die Bühne der Zitadelle Spandau ist ein Meer aus Blumen, Bouquet reiht sich an Bouquet. Das passt schon einmal sehr gut zu einem herrlichen Sommertag im Freien an diesem Wochenende in Berlin. Inmitten all der Farbenpracht turnen die Musiker von Faith No More mit eher unscheinbarer Optik herum, alle im identischen Look, alle ganz in Weiß, irgendwie soll es halt festlich wirken, wenn sich eine der erfolgreichsten und auch einflussreichsten Rockbands der Neunziger auf große Comebacktour begibt.

Die Neunziger, das waren Kurt Cobain, HipHop, die Loveparade, MTV und, genau: Faith No More. Sie waren die großen Eklektiker der Ära. Die Grunger wollten bloß klingen wie Led Zeppelin in den Siebzigern, Faith No More jedoch saugten die Gegenwart auf wie ein Schwamm und bedienten sich an Vergangenem auf originellere Art als die meisten anderen Rockbands dieser Zeit. Sie vereinten Metal und HipHop, und wenn es sein musste, übernahmen sie den klebrigen Popsoul von Lionel Ritchies Commodores und schufen mit ihrer Version von „Easy“ eine bis heute unkaputtbaren Song zum Schwofen.

Doch als es mit Grunge und Crossover zu Ende ging, Britpop und Oasis auftauchten, kamen auch Faith No More in die Krise. Das neue Jahrtausend erlebte die Band nicht mehr. Mike Patton, Sänger der Band, Sexsymbol der Dekade und bekennendes Arbeitstier, machte es nach dem Ende seiner Band erst mal so wie John Lennon nach dem Aus der seinigen: Er verlor sich zwischen den unterschiedlichsten Experimenten. Er nahm für gestandene Faith-No-More-Fans unanhörbare Solo-Gurgel-und-Kreisch-Platten auf und fand in dem New Yorker Avantgardisten John Zorn einen neuen Mentor, oder, wie alte Verehrer von Faith No More wohl eher meinen: Er fand in ihm seine Yoko Ono.

Doch so wie John Lennon nach seinen ersten Platten in der Post-Beatles-Phase von kuriosen Feedbackorgien dann doch noch zu „Imagine“ fand, so ist nun auch Mike Patton wieder bei konventionellerer Kost angekommen. „Sol Invictus“, das eben erschienene Album von Faith No More, klingt wie die Band früher, befinden die Kritiker und meinen dies als Lob.

Exzentriker mit Megafon

Mike Patton ist auch auf der Bühne der Zitadelle wieder der Sänger einer gealterten Rockband und nicht mehr der Extrem-Avantgardist seiner Solojahre. Faith No More klingen 2015 wieder so, als sei nach dem vorläufigen Ende der Band einfach die Uhr angehalten worden. Richtig befriedigend ist das nicht. Man hatte gehofft, Faith No More könnten noch einmal wirklich eine Band der Gegenwart werden, in Berlin wirken sie dann aber doch wie eine aus einem längst vergangenen Jahrzehnt. Da wird sich noch einmal durch den Crossover-Rock von damals gerumpelt, die Songs aus dem aktuellen Album klingen wirklich kaum anders als die von damals, nur kommt bei ihnen weniger Euphorie beim Publikum auf als bei Klassikern wie „Epic“.

Bemerkenswert ist, wie Mike Patton immer noch seine Rolle als charismatischer Sänger auszufüllen weiß. Wie er seine Stimme nach Belieben phrasieren kann, zwischen angedeutetem Rap und angesoultem Falsett. Inmitten der Blumen rennt er unermüdlich hin und her, singt mal durch ein Megafon, fordert das Publikum zu Mitklatschspielchen auf und versucht, in jeder zweiten Ansage an die Menge ein deutsches Wort unterzubringen. Der Mann ist und bleibt einer der großen Exzentriker der Popmusik und ein echtes Bühnentier. Aber um das zu unterstreichen, hätte er Faith No More nicht unbedingt wiedervereinigen müssen. ANDREAS HARTMANN