: Die Billion für alle wurde vertagt
SOZIALPOLITIK Parteichefin Katja Kipping will 1.080 Euro bedingungsloses Grundeinkommen – aber ihr Mitvorsitzender ist dagegen
BERND RIEXINGER, LINKSPARTEI
BIELEFELD taz | Hätte sich Katja Kipping bereits durchgesetzt, auf dem Parteitag der Linken gäbe es wohl keinen Kaffee. Beziehungsweise niemanden, der ihn verkauft. Im Foyer der Bielefelder Stadthalle hat eine Cateringfirma einen Tresen mit Getränken und Kuchen aufgebaut. Die junge Frau dahinter muss nicht lange überlegen: Würde sie fürs Nichtstun bezahlt, sie stünde an diesem sonnigen Wochenende nicht hier. „1.080 Euro reichen zum Leben. Da müsste ich nicht unbedingt dazuverdienen.“
Kurz zuvor haben die Delegierten in der Halle über das bedingungslose Grundeinkommen beraten. Laut dem Konzept, das einem Teil der Partei vorschwebt, bekäme jeder Erwachsene 1.080 Euro pro Monat; unabhängig von Arbeit, Einkommen und Vermögen. Das Modell hat mit der Parteivorsitzenden Kipping eine prominente Befürworterin – mit ihrem Kovorsitzenden Bernd Riexinger aber auch einen entschiedenen Gegner. Am Samstag diskutierten sie zum ersten Mal überhaupt auf einem Parteitag über ihre Meinungsverschiedenheit.
Dabei beschäftigt sich die Partei eigentlich schon länger mit dem Thema, als sie überhaupt existiert. Als Reaktion auf die Hartz-IV-Reformen stand das Grundeinkommen in Deutschland eine Weile lang hoch im Kurs. Auch in der damaligen PDS taten sich vor zehn Jahren einige seiner Anhänger zusammen.
Intern werben sie seitdem für die größte Umwälzung, die das deutsche Sozialsystem je gesehen hätte: Knapp eine Billion Euro pro Jahr soll der Staat gleichmäßig an die Bevölkerung verteilen. Wem 1.080 Euro reichen, der könnte zu Hause bleiben, reisen oder sich ehrenamtlich engagieren. Wer mehr haben will, müsste wie bisher arbeiten.
Um das Geld zusammenzubekommen, wollen die Befürworter die Steuern vor allem für Reiche erhöhen. Ein gigantisches Umverteilungsprogramm zur Steigerung der Löhne – zumindest laut Kipping. „Die Bereitschaft, schlechte Löhne und Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen, ist durch Hartz IV deutlich gestiegen“, sagte sie in der Parteitagsdebatte. Wer wenig Hilfe vom Staat bekomme, nehme jeden Job an. Wer durch 1.080 Euro im Monat abgesichert sei, könne sich dagegen Forderungen an den Arbeitgeber erlauben.
Andere Befürworter argumentieren grundsätzlicher: Wer gezwungen sei, für seinen Lebensunterhalten zu schuften, sei fremdbestimmt. Das Grundeinkommen sorge dagegen für Freiheit. Sinngemäß übersetzt: Arbeit ist scheiße. Das sehen aber nicht alle in der Partei so. Schon gar nicht diejenigen, die aus den Gewerkschaften stammen und von Haus aus ein liebevolleres Verhältnis zur Arbeit pflegen.
„Das Problem der meisten Erwerbslosen ist nicht, dass sie zu wenig Geld haben. Sie wollen eine gute Arbeit bekommen, weil daran soziale Anerkennung hängt“, so Verdi-Funktionär Ralf Krämer, der innerhalb der Linkspartei wohl der größte Feind des Grundeinkommens ist. Gleich hinter Parteichef Riexinger, der sagte: „1.080 Euro pro Person sind nicht viel. Dafür eine Billion Euro umzuwälzen ergibt ökonomisch keinen Sinn und dürfte auch nicht durchsetzbar sein.“
Zumindest mit dem letzten Halbsatz könnte er recht haben. Schließlich ist nicht einmal klar, ob das Grundeinkommen auf einem Linken-Parteitag eine Mehrheit hätte. Das wissen auch die Befürworter: Sie wollen die Delegierten gar nicht erst über ihr Modell abstimmen lassen. Die bequemste Lösung, auch für die beiden Parteichefs: Sie mussten nicht gegeneinander um Delegiertenstimmen kämpfen.
Stattdessen legte sich der Parteitag am Samstag lediglich auf einen Fahrplan fest. Bis runter in die Ortsverbände sollen die Mitglieder weiter über das Thema reden. Und zwar so lange, bis irgendwann die Basis per Mitgliederbefragung ihr Urteil fällt. Entscheidung erfolgreich vertagt: Kaffee wird es wohl auch auf dem nächsten Parteitag geben.
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