: Diskofieber
NACHTLEBEN Um die Jahrtausendwende ging auf dem platten Land die Ära der „progressiven“ Rock-Diskos zu Ende. Nachgetrauert wird den legendären Läden bis heute: auf Revivalpartys, in Büchern und im Museum. Einen echten Neuanfang wagt nun das „Pleasuredome“ in Oppenwehe zwischen Osnabrück und nirgendwo ➤ Schwerpunkt SEITE 40, 41
VON JAN-PAUL KOOPMANN
Es ist nicht weniger als der Versuch einer Totenbeschwörung: die Neueröffnung der Diskothek „Pleasuredome“ in Oppenwehe, einem Spargeldorf, das man nicht unbedingt kennen muss. Es liegt weit draußen auf dem Land, knapp 50 Kilometer nordöstlich von Osnabrück. Den Weg allerdings dürften einige Menschen auch im Schlaf noch bewältigen können. Denn als der „Dome“, wie man sagte, noch offen war, sind die Gäste auch aus den Städten hier rausgekommen, ins Nirgendwo.
Warum das so war, ist gar nicht so leicht zu erklären. Der Dome war weder besonders groß noch haben darin relevante Konzerte stattgefunden. Es war eben eine Dorfdisko, mit kleinen verwinkelten Räumen, die es erstmal zu entdecken galt. Da war dieser Eingangsbereich mit knallbunten Wänden, die ein bisschen nach Zirkuszelt aussahen. Daneben eine „Teestube“, die so oder so ähnlich auch im urigen Landgasthof nebenan stehen könnte. Dazwischen Spuren vergangener Jahrzehnte – und ihrer Trends: Das Klo war mit Comic-Seiten tapeziert, ein paar Säulen trugen Zierstuck, und in einem Loch in der Wand hockt noch heute ein Außerirdischer vor einer leuchtenden Kugel: Artefakte, die von der neuen Besitzerin Daniela Mügebeer in Ehren gehalten werden.
Als der Dome Anfang 2006 schloss, waren das die letzten Zuckungen einer Ära: Die „progressive Diskotheken“ waren in den 70er-Jahren Keimzelle des Krautrock gewesen – und lange danach noch Heimat für alternative Rockmusik mit psychedelischem Einschlag. Die wurde auch in Städten gespielt, hat sich auf dem Land aber nochmal in besonderer Form ausgebildet, immer einen halben Schritt neben dem Trend. Das ist insbesondere im norddeutschen Flachland passiert, weil die unendlichen Weiten den Geist schweifen lassen, wie manche sagen. Oder auch bloß wegen der relativen Nähe zur holländischen Grenze und den Coffee-Shops dahinter.
Tanztempel in der Krise
Man hört es schon an den Ortsnamen: Der „Lindenhof“ stand in Wetschen, der „Circus Musicus“ in Märschendorf, der „Pleasuredome“ eben in Oppenwehe. Selbst wer nur drei Dörfer weiter groß geworden ist, hat beim ersten Mal einen ortskundigen Navigator gebraucht. Und so unterschiedlich sich die einzelnen Läden im Detail auch entwickelt haben mögen: Es waren doch oft dieselben Menschen, die zwischen diesen Diskos umher fuhren. Und noch etwas haben diese Läden gemeinsam: Fast alle schlossen um die Jahrtausendwende.
Mügebeer ist eine Geschäftsfrau. Sie hat den Dome schon vor ein paar Jahren gekauft und will ihn nun wieder öffnen. Ihre Partnerin war hier früher selbst noch Gast, auch Mügebeer selbst ist der Szene verbunden: Sie betreibt einen Klamottenladen für die schwarze Szene, das „Heiden-Reich“. Eine Grufti-Disko war der Dome zwar nicht, aber Gothic war doch einer der Eckpfeiler, neben Metal, Crossover und in die Jahre gekommenem Prog-Rock – also allem eigentlich, das sich irgendwie alternativ anfühlte und dessen Publikum mit Großraum-Disko und Schützenfest so gar nichts am Hut hatte.
Diese Leute sind dem Laden treu geblieben: Noch Jahre nach der Schließung haben ehemalige Stammgäste auf dem Parkplatz gefeiert. Einmal haben sie sogar einen Kranz im Eingang niedergelegt – einen kleinen, geschmückt mit Papierserviette und einsamem Teelicht. Eine richtige Revival-Bewegung hat sich daraus entwickelt, die heute noch hin und wieder zu Partys einlädt – unter dem Label der Disko, die es schon lange nicht mehr gibt.
Die Neueröffnung erfolgt in schweren Zeiten: Es herrscht allgemeine Disko-Krise, nicht nur bei den alternativen. Der Deutsche Diskothekenverband beklagt seit Jahren, dass Lokale schließen und die Umsätze zurückgehen. Erklärungsansätze gibt es reichlich: die Gesellschaft wird älter und zieht in die Städte – mit Euro und Wirtschaftskrise ist auch das Geld vielerorts knapper, zumindest gefühlt. Mancher, der früher einen ganzen Abend lang Bier getrunken hat, wird heute zu Hause mit Hochprozentigem „vorglühen“ – und in der Disko dann nur noch „nachtanken“. Das belegen zahllose Studien zum Freizeitverhalten junger Menschen.
Auch im Dome war vor Schluss immer weniger los. Dabei haben sie viel versucht: einen Biergarten im Garten, Themenabende, erweitertes Angebot. Irgendwann gab es sogar Cocktails, in einer eigens ins Obergeschoss gezimmerten Bar mit sowas ähnlichem wie lateinamerikanischem Ambiente. Und direkt nebenan ein kleines Kino – in dem wegen der Bässe von unten meist kein Wort vom Leinwandgeschehen zu verstehen war.
Geholfen hat das alles nichts: Die Geschäfte liefen immer schlechter und kurz vor Schluss musste die damalige Geschäftsführerin Dörte Tielbürger eingestehen, den Anschluss an den Nachwuchs verpasst zu haben: „Wir sind zu sehr in die Rocksparte abgedriftet“, hat sie mal gesagt. Darum hat es diese alternativen Diskos wohl auch härter getroffen als den Rest: Die Musik kam schon eher altbacken daher. Zwischen den Doors und Birth Control passte zwar auch Neueres der härteren Gangart – nicht aber Rap, Techno und Elektro-Pop. Und die Gäste wollten das auch nicht anders: Während man bei den ersten Takten der lokalen Hits die Tanzfläche stürmte, verlängerte sich bei Unbekanntem doch eher die Schlange am Bistro.
Und natürlich kamen viele Besucher auch deshalb, weil auf dem Dorf einfach nichts anderes los war. Heute schießen dagegen allerorten die Events aus dem Boden, Public Viewings zu jedem noch so banalen Anlass – und natürlich all die Festivals, von denen jährlich neue den Kalender befüllen.
Zurück in alte Zeiten
Mügebeers Angebot lebt von dem Versprechen, die alten Zeiten wiederzubeleben. Natürlich wird grundlegend renoviert, neue Wände mussten rein und es soll, sagt die Betreiberin, „Überraschungen in jedem Raum“ geben. Details will sie nicht verraten, auch von Mittelalter-Veranstaltungen im Garten ist die Rede. Vielleicht ist das eine Chance, den heute vielbeschworenen Event-Charakter in die Disko zu bekommen – mit einem eigenen Dreh? Denn auf Karaffen-Alarm und Schaumpartys zu setzen, wie es die Mainstream-Diskos tun, das wäre nichts für den Dome.
Dessen besonderer Charme lag vielleicht auch gerade an der Ereignislosigkeit: In der Teestube am Eingang wurde tatsächlich meist Tee getrunken und Backgammon gespielt. Man hat sich hier eben am Wochenende getroffen, an der Tanzfläche gestanden oder auf den Boxen in der Ecke gesessen. Und das in Ruhe: Frauen konnten an die Theke gehen, ohne sich dem Fleischmarkt auszusetzen, aggressiv angebaggert und abgeschleppt wurde hier niemand. Auch sonst waren Übergriffe die absoluten Ausnahme. Die Türsteher am Eingang haben Stempel kontrolliert, Flaschen einkassiert und hatten sonst im Grunde nichts zu tun – und wenn es doch mal Stress gab, dann hat das wochenlang für Gesprächsstoff im Laden gesorgt.
Surfen und Feiern
Nicht alle glauben daran, dass sowas heute noch funktioniert. Mit großer Häme wurde Mügebeers erstes Straucheln im Internet kommentiert: Eigentlich hatte es schon Ende 2012 losgehen sollen. Da kursierten bereits Einladungen zur Eröffnung, die dann wegen fehlender Genehmigungen und besorgten Nachbarn verschoben wurde. Denn manche in Oppenwehe hatten sich ganz gut in der Ruhe ohne Partygäste und zugeparkte Dorfstraßen eingerichtet. „Das wird nichts mehr“, kommentierte da nicht nur ein User auf Mügebeers Facebook-Seite. Und dann war da auch noch ein ominöser Hackerangriff auf die Internetseite der Disko: „We do not open“, stand da eines Morgens. Ein Anschlag aufs Geschäft war das wohl eher nicht – eher wütende Enttäuschung, weil es immer noch nicht losgegangen war. Inzwischen aber klingt das anders: Die Hürden sind genommen, Genehmigungen liegen vor.
Das Internet aber ist für die Dorfdisko nicht nur eine Plattform für Glückwünsche und Unkenrufe: Als der Dome 2006 schloss, startete das soziale Netzwerk StudiVZ gerade richtig – und heute ist annähernd jeder bei Facebook. Darunter hat der Disko-Alltag gelitten, denn einmalige Events wie Festivals sind heute leichter zu organisieren und zu bewerben. Wie damals jeden Samstag selbstverständlich in seinen jeweiligen Stammladen zu fahren, ist nicht mehr nötig – die Konkurrenz auf dem Markt enorm gewachsen.
Paradoxerweise sind aber auch Revival-Bewegung und die Legendenbildung ohne das Netz nicht denkbar: Internetforen sind Sammelstätten für alte Fotos und Geschichten. Und Ehemaligen-Treffen, wie sie früher höchstens Abschlussjahrgänge mit ihren Adressenlisten auf die Beine stellen konnten, macht heute jeder. Statt zum Abi-Jubiläum trifft man sich eben mit anderen Stammgästen – netter als in der Schule war es in der Diskothek schließlich schon immer. Es sind auch wirklich stets die gleichen Gesichter auf diesen gut besuchten Partys, auch wenn sie heute etwas älter aussehen.
Ein Bedürfnis ist da, keine Frage. Das aber zu einer regelmäßig laufenden Disko – und damit eben auch in eine Geschäftsgrundlage – zu verwandeln: Das dürfte eine große Herausforderung sein für Daniela Mügebeer und ihr Team.