Ein Weltmeister verweigert sich

BUCH Mit einem fulminanten Roman erinnert Herbert Friedrich an einen der ganz Großen des deutschen Radsports, der lange ignoriert wurde

Politisch peinlich: Erst nach Jahrzehnten wurde Albert Richter endlich rehabilitiert und gewürdigt

Es ist die große Zeit der Velodrome. Paris, Brüssel, Zürich, Berlin, Dresden, Köln. Überall jagen Amateure wie Profis durch die Betonschüsseln unter freiem Himmel oder über das Holzoval in verrauchten Hallen. Der Bahnradsport zieht die Massen an. Und die Fahrer riskieren eine Menge. Je kürzer die Bahn, desto gefährlicher die Steilkurven. Tödliche Unfälle kommen immer wieder vor, Abschürfungen und Knochenbrüche sind kaum zu vermeiden. „Wunden der Krieger“, heißt es ebenso sarkastisch wie realistisch in dem Roman von Herbert Friedrich („Der Tod des Weltmeisters“).

Er schildert „eine Radsportkarriere im Dritten Reich“, so der Untertitel. Eine außergewöhnliche Karriere, die bitter endet, zunächst aber nichts anderes ist als eine Triumphfahrt. Otto Pagler: Weltmeister der Amateure, dann siebenmal Deutscher Meister. Gefeiert in den europäischen Metropolen, aber den kölschen Jung aus dem Proletariat zieht es immer wieder zurück in seine Heimat. Dort grüßt man mittlerweile mit erhobenem Arm, gehen die Nazis auf Menschenjagd. Pagler wagt den Ritt auf der Rasierklinge. Er hält an seinem jüdischen Manager und Trainer fest und unterstützt seinen Mentor, dem die SA den Fahrradladen demoliert. Aber er weiß, dass er, der König der Sprinter, als „Reklamefahrer“ für Nazi-Deutschland in die Pedale zu treten hat. Und er nimmt das hin. Bis die Nazis anderes mit ihm vorhaben. An die Front! Jetzt als Reklamesoldat. Nicht mehr Held des Sports, sondern Held für Hitler. Etwa so wie Max Schmeling, auch ein Weltmeister, der in dieser Zeit zu den Fallschirmjägern geht. Pagler widersetzt sich und geht in sein Verhängnis.

Schmeling heißt in diesem Buch anders. Und auch Otto Pagler ist ein anderer. Friedrich erzählt genau genommen ein wirkliches Leben, das des Radsportlers Albert Richter. Ein Star der dreißiger Jahre, dessen Distanz zum Regime kein Geheimnis war. Ende 1939 wurde er an der Grenze zur Schweiz verhaftet, ein paar Tage später starb er in einer Lörracher Gefängniszelle. Richter wurde 27 Jahre alt und wahrscheinlich von der Gestapo gefoltert und hingerichtet. Er wurde vergessen, sein Schicksal verdrängt, vor allem in der alten Bundesrepublik. Erst nach Jahrzehnten ist er, einer der großen Sportler dieses Landes, rehabilitiert und gewürdigt worden. Seit 2008 hat er seinen Platz in der „Hall of fame des deutschen Sports“. Der Schriftsteller Herbert Friedrich darf in Anspruch nehmen, daran mitgewirkt zu haben. Auch wenn Friedrich, 1926 geboren, an sich nur in der damaligen DDR bekannt war und gelesen wurde. Dort ist sein Buch bereits 1971 erschienen, unter einem anderen Titel. Im Westen dürften es nur Eingeweihte in die Hand bekommen haben. Was sich mit der Neuauflage des Maxime Verlags ändern sollte.

Auch deshalb, weil der Autor es geschafft hat, seine Romanfiguren überaus authentisch in das einzuweben, was den deutschen Faschismus ausgemacht hat. Verführung, Verfolgung, Vernichtung. Weil er darstellt, manchmal regelrecht spannend und anrührend, dass doch auch versucht wurde, dem etwas entgegenzusetzen. Menschlichkeit, Verweigerung, Widerstand. Weil er es versteht, von all dem zu erzählen, schnell, mit harten Schnitten, prägnant.

Dass viele seiner aufrechten Antifaschisten – vom Protagonisten Pagler mal abgesehen – Mitglieder der KPD sind oder ihr nahestehen, sei’s drum. Aber nun ja, das könnte schon ein gewichtiger Grund gewesen sein, warum gerade dieser Roman hierzulande vom Zeitgeist lange verschmäht worden ist. Denn an Friedrichs literarischem Können kann es kaum gelegen haben. Und auch nicht an mangelnden Kenntnissen über den Radrennsport. HELMUT DACHALE

■ Herbert Friedrich: „Der Tod des Weltmeisters“, Maxime Verlag, Bern 2015, 444 Seiten, 24,95 €