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Archiv-Artikel

Keine Kuschelveranstaltungen

DIALOG Seit den 90er Jahren treffen sich Christen und Muslime in Karlsruhe zum Austausch. Doch der Kreis ist in die Jahre gekommen. Daher bemühen sich die Verantwortlichen, jüngere Menschen anzusprechen

Interreligiöse Hausmeister

■ Quartiersmeister: So werden diejenigen genannt, die sich um BesucherInnen des Kirchentags kümmern, die etwa in Schulen untergebracht sind. Meist werden sie von benachbarten Kirchengemeinden betreut. Über 200 Quartiersmeister werden für die 170 Schulunterkünfte in Stuttgart benötigt. Sie sehen in den Unterkünften nach dem Rechten und organisieren die Frühstücksverpflegung.

■ Islamische Gastfreundschaft: Wer während des Kirchentags in der Rappachschule im Sandbuckel 45 untergebracht ist, wird von der Ahmadiyya Muslim Gemeinde Stuttgart als Quartiersmeister betreut. Damit will die Ahmadiyya-Gemeinde zeigen, dass „ehrenamtliches Engagement über die Grenzen von Konfessionen Geltung hat“, wie es in einer Mitteilung heißt.

AUS KARLSRUHE BENNO STIEBER

In Karlsruhe wird die Verständigung jetzt in Stein gemeißelt. Ein Rondell von 40 Meter Durchmesser, das fünf Einzelkreise vereint, symbolisiert die fünf Weltreligionen, die auf verschlungenen Wegen miteinander verbunden sind. Die Wege treffen sich im Kreis der Verständigung. Der „Garten der Religionen“ am Rande eines frisch errichteten Stadtviertels soll ein Symbol sein. Er soll im September anlässlich der Feierlichkeiten zum 300. Geburtstag der Stadt eröffnet werden.

Ein Kreis von etwa 70 Christen und Muslimen sorgt sich derweil ganz konkret um die Verständigung zwischen den Religionen. Seit 1994 trifft sich die Christlich-Muslimische Gesellschaft zu Gesprächskreisen und Friedensgebeten, sie organisiert Moscheebesuche und ist auch Ansprechpartner der Stadt bei interkulturelle Fragen. Einmal im Jahr organisiert der Kreis ein vielbeachtetes Fußballturnier, das auch Jüngere anspricht.

Wie die meisten hat sich auch der christlich-muslimische Kreis in Karlsruhe bereits in den 90er Jahren auch unter dem Eindruck ausländerfeindlicher Übergriffe in Mölln und Solingen gegründet. Als sich dann die Stimmung für Muslime nach den Anschlägen am 11. September 2001 in New York auch in Deutschland verschärfte, war es gut, dass es den Gesprächskreis schon gab, denn in der angespannten Atmosphäre hätte man eine solche Gesellschaft nur schwer gründen können.

„Wir hatten bereits Vertrauen aufgebaut“, sagt Ulrike Krumm, Pfarrerin der Karlsruher Luthergemeinde, die den Kreis seit elf Jahren leitet. Trotzdem sei die Atmosphäre unmittelbar nach den Anschlägen auch unter den langjährigen Mitgliedern „klemmig“ gewesen. „Es ist schwierig, wenn die eine Seite in der Opferrolle steckt und die andere Seite das Gefühl hat, sie müsse ihre Religion gegen Pauschalvorwürfe verteidigen.“ Doch insgesamt habe sich die Arbeit gerade damals bewährt. Und heute ist der Kreis ein wichtiger Ansprechpartner, wenn es etwa darum geht, eine Mahnwache nach den Pariser Anschlägen zu organisieren.

Die Pauschalvorwürfe gegen den Islam sind geblieben, haben sich nach Umfragen in Teilen der Bevölkerung eher sogar verfestigt. Auch wenn die christlich-muslimischen Gesprächskreise für Vertrauen gesorgt haben, so ist ihre Wirkung doch überschaubar geblieben. Die Wirkung in die Gemeinden, sei es die christlichen oder muslimischen, sei begrenzt, gibt Ulrike Krumm zu. „Es kommen meist die, die sich schon immer für das Thema interessiert haben“, sagt sie.

„Zu uns kommen keine Provokateure“ sagt auch Riad Ghalaini. Er leitet seit 15 Jahren zusammen mit einem evangelischen Pfarrer die Gesellschaft für christlich-islamische Begegnung und Zusammenarbeit. Alle sechs Wochen versammeln sich Mitglieder abwechselnd in Moscheen oder christlichen Gemeinden von Stuttgart zu Vorträgen und Diskussionen. Oft gelingt es ihnen, namhafte Referenten einzuladen. Das seien keine Kuschelveranstaltungen, sagt Ghalaini. Thematisch dürfe es keine Tabus geben. Und so wird über Sexualität und Gewalt in den Religionen genauso gesprochen wie über Dreifaltigkeit und die Bedeutung des Fastens in beiden Religionen.

Ghalaini selbst stammt aus dem Libanon, er sei es schon immer gewohnt gewesen, dass Christen und Muslime miteinander leben, er selbst sei quasi unter Christen aufgewachsen. „Ich war schon immer auf Dialog eingestimmt“, sagt der mittlerweile pensionierte Baukonstrukteur.

Doch die Veranstaltungen bleiben auf einen Kreis der Interessierten begrenzt. Kritiker auf beiden Seiten bleiben den Veranstaltungen eher fern. Auch sehen Ghalaini wie auch Ulrike Krumm in Karlsruhe eine gewisse Auszehrung ihrer Gesprächskreise. Das Engagement hänge nur an einigen wenigen Aktiven, sagt die Karlsruher Pfarrerin. Riad Ghalaini konstatiert, der Kreis sei gemeinsam in die Jahre gekommen, nur selten kämen Jüngere dazu.

Vielleicht müssen Information und Dialog zwischen den Religionen aber ohnehin früher ansetzen. Denn 40 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime sind unter 25 Jahren alt. Mit Gesprächskreisen, Friedensgebeten und Vorträgen sind sie nur schwer zu erreichen.

Deshalb organisierte die Akademie Diözese Rottenburg-Stuttgart zusammen mit muslimischen Jugendverbänden ein Seminar mit dem Titel „Muslime im Web 2.0“. Christian Ströbele, der zuständige Referent der Akademie, beobachtet einen Generationswandel auch in den muslimischen Gemeinden, dem man mit solchen Informationsangeboten für christliche und muslimische Jugendarbeit Rechnung tragen will.

Noch etwas früher setzt ein vielbeachtetes Experiment der jüdischen Gemeinde Mannheim an. Sie lud im vergangenen April zum ersten Mal zum Religionsdialog zwischen Juden, Muslimen, Christen und Konfessionslosen ein. Die Zielgruppe des bisher einzigartigen Treffens waren Grundschulkinder und Teenager.