: Rock ’n’ Romani
LAUTARI Die Taraf de Haïdouks sind die Urväter des Balkan-Hypes. Nach 25 Jahren ziehen sie nun Bilanz
Sie sind Mitglieder der Lautari-Kaste der rumänischen Roma und machen schon ihr ganzes Leben lang Musik. Doch nach 1990 wurde ihre Geschichte weltbekannt: Zwei abenteuerlustige Belgier, Stéphane Karo und Michel Winter machten sich auf den Weg nach Südostrumänien, um ihr Dorf zu finden. Dort angekommen, trauten sie ihren Ohren kaum: Die fliegenden Geigenbögen, die flirrenden Flöten, die wirbelnden Tasten des Akkordeons, die Hetzjagd über die Saiten des Hackbretts Cimbalom, dazu ein herzblutiger Gesang aus rauen Kehlen – so etwas hatten sie noch nicht gehört.
Karo und Winter beschlossen, die besten Musiker aus drei Generationen auf Auslandstournee zu schicken – unter ihnen den Patriarchen Nicolae Neacsu, den kaum jüngeren Sänger Ion Manole, den Primás Caliu, den Flötisten Fluieras, Tzagoi am Akkordeon und Marinel Sandu, den Teenager am Hackbrett. „Der Erfolg kam, weil das etwas Neues für die Ohren der Zentraleuropäer war“, sagt Karo rückblickend. „Diese Spontaneität, auch das Theatralische, mit der die einzelnen Gruppenmitglieder eine archaische Musik mit der Vitalität von heute spielten. Obwohl diese Melodien immer Teil der europäischen Kultur gewesen sind, waren sie konsequent ausgeschlossen und vergessen worden.“
Dass später die verwestlichte, rhythmisch geglättete Variante der Gypsy-Brass-Bands vom Balkan, von Emir Kusturicas Filmen befeuert, letztlich als Balkan-Hype in den Clubs landete, sieht Karo kritisch. Dadurch drohten ältere Stile zu verschwinden. Die Taraf de Haïdouks sieht er allerdings gegen solchen Konformismus gefeit: „Sie haben auf ihren Reisen mit Stars wie dem Kronos Quartet oder Stephan Eicher gearbeitet. Aber der einzige Einfluss, den sie wirklich aufgenommen haben, sind die Melodien aus Bollywood. Und die liefen schon vor der Revolution im rumänischen Fernsehen.“
Taraf de Haïdouks, die von Karo nach den Heiducken, Wehrbauern des 15. Jahrhunderts, benannt wurden, sind von ihrem Ruhm scheinbar ungerührt geblieben. Sie musizierten mit dem Hobby-Gypsy Johnny Depp, traten auf Modeschauen von Yohji Yamamoto auf, ihre Geschichte wurde im Film „Gadjo Dilo“ des Regisseurs Tony Gatlif für die große Leinwand nacherzählt. Doch immer wieder sind sie in ihr Dorf zurückgekehrt.
Heute kümmern sie sich um Jugendarbeit. Die Band ist ein lebendiger Organismus, einige Mitglieder sind gestorben, Kinder von damals nachgerückt. Zum 25. Bandjubiläum gibt es ein neues Album, aber auch eine nachdenkliche Bilanz von Stéphane Karo: „Der Rassismus gegenüber den Roma ist nach wie vor ungebrochen. Ich dachte anfangs noch, dass wir da etwas ändern können, aber die Klischees in den Köpfen halten sich hartnäckig. Die Roma wissen nicht, wie sie diesen Hass gegen sich verarbeiten sollen, auf der menschlichen Ebene kann sie das sehr hart machen. Das ist wie eingraviert in ihre Kultur.“
STEFAN FRANZEN
■ Taraf de Haïdouks: „Of Lovers, Gamblers and Parachute Skirts“ (Crammed Discs, 2015)