: „Ich danke dir, wo immer du bist“
2011 Als bei den Demonstrationen gegen das Assad-Regime die ersten Schüsse fielen, brachte ein Mann unsere Autorin in Sicherheit. Seinen Namen weiß sie bis heute nicht. Auch nicht, was aus ihm wurde
Dima Hamameh, 29, hat in Damaskus Anglistik studiert. Sie engagierte sich stark in der Revolution und half bis vor Kurzen Binnenflüchtlingen in Syrien. Seit zwei Wochen ist sie nach langem Streit mit den deutschen Behörden in Deutschland, um in Marburg ihr Studium fortzusetzen.
Auf meiner ersten Demo hatte ich das Gefühl, ich sei die einzige Frau auf der Welt. „Freiheit für Syrien“ und „Nieder mit dem Tyrannen“, rief ich. Meine Stimme und ich in Damaskus. Ich hatte keine Ahnung, was uns erwartete. Kurz darauf fielen Schüsse. Die Leute flüchteten in alle Richtungen.
Demos fanden damals in Gegenden statt, die unwegsam oder schwer zugänglich, also nur mit großem Zeitaufwand zu erreichen waren. Ich ging hin, aber ich kannte mich in dem Viertel nicht aus.
Als die Schüsse fielen, erstarrte ich. Wie angewurzelt verharrte ich, wusste nicht, wohin. Dann waren alle anderen weg, und ich stand allein da. Auf einmal packte mich jemand am Arm. „Was machst du hier noch?“, rief er. „Jetzt lauf! Mir nach!“
Ich rannte und rannte, bis ich nicht mehr konnte. Außer Atem sank ich auf die Knie. Aber der Mann trieb mich an. Seine Stimme vergesse ich nie: „Komm, weiter! Du schaffst es. Ohne dich gehe ich hier nicht weg. Du willst doch noch auf die nächste Demo. Nun mach, schnell. Sonst holen sie uns ein.“ „Geh du allein weiter,“ sagte ich. Er ignorierte meine Worte. Vielleicht hat er mich auch nicht gehört. Denn vor Erschöpfung und Angst bekam ich kaum einen Ton heraus.
Ich weiß nicht wie, aber ich stand auf und rannte weiter. Wie hysterisch schrie der Mann: „Hier lang! Nein, dort hin! Nach links!“ Er brüllte immer lauter, so als wollte er die Schüsse übertönen. Er rannte mir voraus, bis er an ein Haus kam. Vielleicht kannte er es. Er donnerte an die Tür. Eine Frau öffnete eilig. Es war, als hätte sie erwartet, dass einer anklopft. „Komm rein, Mädchen“, rief sie. Der Mann stieß mich ins Haus, schloss die Tür und verschwand. Warum ist er weitergelaufen? Und wohin? Würde er entkommen? Wer war er? Wie hatte er es geschafft, mir trotz aller Angst Mut zu machen? Ich habe bis heute keine Antwort.
Die Frau reichte mir ein Glas Wasser und sagte: „Gott beschützt uns, mein Kind.“ Aber beschützt hat mich an dem Tag eher ein Mann, dessen Namen ich nicht kenne.
Inzwischen ist viel Zeit vergangen, und immerzu schaue ich, ob ich sein Gesicht irgendwo entdecke. Ich bin nun nicht mehr in Damaskus und habe keine Ahnung, was uns noch erwartet.
DIMA HAMAMEH
Aus dem Arabischen: Leila Chammaa
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