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Archiv-Artikel

„Niemand ist ein Zigeuner“

RASSISMUS Wolfgang Wippermann stellt bei der Körber-Stiftung sein neues Buch vor

Wolfgang Wippermann

■ 70, Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin. Sein Buch ist im Verlag der Körber-Stiftung erschienen.

taz: Herr Wippermann, warum ist niemand ein Zigeuner?

Wolfgang Wippermann: Der Begriff ist schlichtweg falsch und es wird viel Negatives mit ihm assoziiert. Außerdem bezeichnen sich Sinti und Roma nicht als Zigeuner und möchten deshalb auch nicht so genannt werden.

Was unterscheidet den Antiziganismus denn von anderen Formen des Rassismus?

Zunächst einmal ist er viel weiter verbreitet: 50 bis 60 Prozent der Deutschen sind laut Umfragen antiziganistisch eingestellt. Sinti und Roma sind auf der Hassliste der europäischen Völker ganz vorne. Und das obwohl sie die größte Minderheit in Europa sind.

Woran liegt das?

An den Sinti und Roma liegt es zumindest nicht, genauso wenig, wie es an den Juden lag. Europa definiert sich seit Jahrhunderten durch die Ausgrenzung der europäischen Roma. Auch heute noch werden sie in vielen, größtenteils osteuropäischen Staaten verfolgt. Und auch hier werden sie oft diskriminiert, vor allem aber verschließen wir in Deutschland viel zu oft unsere Augen vor dieser Problematik.

Woraus nährt sich dieser Hass?

Ähnlich wie der Antisemitismus ist der Antiziganismus religiös, sozial und rassistisch motiviert. Es heißt, Zigeuner klauten oder werden gar als minderwertige Rasse bezeichnet.

Viele assoziieren mit Sinti und Roma Bettlerbanden, die durch Europa ziehen.

Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wir plappern das nach, was uns die Journalisten geben und die berichten fast nur von Sinti und Roma als kriminelle Einwanderer. Dabei leben sie seit 600 Jahren in Deutschland. Viele von ihnen sind überzeugte Deutsche mit zum Teil großen Errungenschaften. Doch all das prallt ab an der Mauer aus Vorurteilen, die tief in unserer Mehrheitskultur gegründet ist.

Wird sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern?

Mentalitäten sind Gedankengefängnisse von langer Dauer. Die deutsche Literatur ist durch und durch antiziganistisch geprägt und auch in der Wissenschaft haben wir immer weiter Vorurteile tradiert. Über kein Volk in Europa wissen wir so wenig und doch so viel Vorurteilhaftes wie über die Roma. Das ist ein langer Weg.

Und wo beginnt dieser Weg?

Wir brauchen eine öffentliche Aufarbeitung dieser Vorurteile. Zudem müssen sich mehr öffentliche Stimmen gegen die Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma einsetzen.  INTERVIEW: KRISTOF BOTKA

19 Uhr, Körber-Forum, Kehrwieder 12, Anmeldung notwendig