: Illusion einer friedlichen Region
BOHEME Mit ihrem zweiten Album „Homeland“ zeigt die französisch-marokkanische Sängerin Hindi Zahra, wie globalisierte Musiktraditionen wunderschön ineinandergreifen
HINDI ZAHRA
VON FATMA AYDEMIR
Wer will schon Möbel kaufen, einen Handyvertrag abschließen, wenn man morgen für 50 Euro in ein fernes Land reisen, ein anderes Leben leben kann. Doch Zahra Hindi war schon Nomadin, da gab es noch keinen Easy-Jet-Tourismus. Alle zwei Jahre zog sie in eine andere marokkanische Stadt, als Tochter eines französischen Berufssoldaten und einer Marokkanerin. Mit fünfzehn schmiss sie die Schule und ging nach Paris, wo sie ebenfalls kaum zur Ruhe kam, Wohnungen wechselte wie abgenutzte Zahnbürsten. Sie jobbte im Louvre, fing an zu malen, ging auf Reisen. La Bohème.
Zurück nach Marokko
Irgendwann war sie professionelle Musikerin, so wie ihre Tante, die in Marokko auf Hochzeiten Percussions spielte, aber ein bisschen anders, Hindi sang und spielte mehrere Instrumente, in Galerien und in Jazzclubs. Als sie dreißig war und mehr als fünfzig Songs selbst komponiert, eingespielt und produziert hatte, kehrte sie ihren Vor- und Nachnamen um, nannte sich Hindi Zahra und erlaubte dem traditionsreichen New Yorker Label Blue Note, das einst Miles Davis und John Coltrane zu Ruhm verhalf, ihr erstes Album zu veröffentlichen. „Handmade“ erschien in vierzehn Ländern und Zahra ging auf Welttour – über zwei Jahre lang gab sie mehr als vierhundert Konzerte.
Und dann? Zurück nach Marokko, Marrakesch, Sonne tanken, eine neue Story finden für ein neues Album. Aus einem Monat wurden zwei Monate, wurde ein Jahr, wurden zwei Jahre. Sie wollte sich Zeit lassen, um Songs zu schaffen, die länger haltbar sind als ein paar Wochen. Das Ergebnis oszilliert zwischen Jazz, Blues, Folk, traditionell-marokkanischem Chaabi und nennt sich „Homeland“. Ist das Marrakesch, das sogenannte Homeland? Hindi Zahra sagt „yesss …“ und stockt eine Weile. Stille in der Leitung. Sie sitzt in ihrer Pariser Wohnung mit dem Telefon am Ohr und denkt darüber nach, wo eigentlich zu Hause ist.
„Klar, ich habe eine Verbindung zu Marokko“, sagt Zahra schließlich. „Aber ich habe auch eine Verbindung zu Frankreich. Und wenn ich in Italien bin oder in der Türkei, habe ich aus unerklärlichen Gründen immer das Gefühl, dass ich eigentlich dorthin gehöre.“ Sie lacht. „Ich glaube, „Homeland“ ist in mir drin. Es ist mein Schicksal, ständig meine Koffer packen zu müssen, aber das ist okay. Unterwegs zu sein, gibt mir Stabilität. Es hat gedauert, bis ich das verstanden habe.“
Dieses entwurzelte Dasein, es spiegelt sich nicht unbedingt auch in Zahras Musik wider. Okay, „Homeland“ klingt mal nach leichtem Chansonpop, mal nach orientalischen Wüsten-Chantings, mal nach wunderbar gefühlsbetonter Singer-Songwriter-Performance. Ihr Gitarrist kommt vom Flamenco und stammt aus dem Süden Spaniens. Und ja, Zahra singt in fast allen Sprachen, die sie beherrscht. In dem rhythmisch betäubenden Stück „Cabo Verde“ etwa, dem Lieblingssong ihrer Mutter („Sie meint, so wie ich singen eigentlich nur Männer“), mischt sie das Berberische mit Darija (maghrebinischem Arabisch) und Englisch. Und Songs wie „Un Jour“ sind komplett französisch.
Dennoch, „Homeland“ ist kein Mash-up der Kulturen, kein East-Meets-West, keine „Weltmusik“. Zahras Sound ist dafür zu hybrid. Eher kreiert „Homeland“ die Illusion einer weiträumigen, zusammengehörigen, friedlichen Region, mit globalisierten Musiktraditionen, die Widersprüche wie Popfolklore, Schwarz-Weiß, Ost-West komplett aufheben.
Wer Zahra einmal singen gehört hat, der wird ihre Stimme auf ewig wiedererkennen. Ihr dünnes Timbre pirscht in die Höhen, weht wie ein Schleier in die Ferne, so sie von gebrochenen Menschen singt. Umtänzelt das Piano mit nasalen Klängen, wenn es um den schrittweisen Ausklang von Liebeskummer geht.
Mut zum Unbequemen
„Es gibt drei Ausdrucksweisen, die ich beherrschen will wie eine Meisterin, das ist mein großes Ziel“, sagt Zahra leicht euphorisch am Telefon. „Musik, Malerei und Tanz. Vor allem das Malen schafft eine totale Balance zum Musikmachen. Bei der Musik konzentriere ich mich auf Klänge, beim Malen aber geht es um Stille.“ Ein neues Feld, das Zahra für sich entdeckt hat, ist die Schauspielerei. In Fatih Akins Film „The Cut“, der vom Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich handelt, übernahm sie die Rolle von Nazareths Frau Rakel. „Fatih hat angerufen und ich bin sofort gesprungen!“, erzählt sie. „Er ist ein Humanist, und er ist Ästhet. Da sind wir uns ziemlich ähnlich.“
Eine weitere Gemeinsamkeit, die die Sängerin mit dem Hamburger Filmemacher zu haben scheint, ist der Mut zur Unbequemlichkeit. Denn zwischen den Kulturen lebt es sich nicht immer leicht.
Als Zahra vor drei Jahren im Rahmen ihrer Tour auf dem Weg nach Tel Aviv war, starteten einige ihrer Fans im Netz einen Aufruf. Sie möge den Auftritt absagen, so sie die israelische Siedlungspolitik nicht unterstützen wolle. Zahra gab die Antwort auf der Bühne und durch eine tolle Show. „Viele Menschen lassen sich von ihrer Angst dominieren“, sagt sie. „Sie fürchten sich davor zu erkennen, dass man dem Fremden meist viel ähnlicher ist, als man es wahrhaben möchte. Ich hoffe, mein Horizont reicht weiter.“
■ Hindi Zahra: „Homeland“ (Blue Note/Warner)