piwik no script img

Archiv-Artikel

Oper als Scheitern

BÜHNE Zum Simone-Young-Abschied gibt es Zeitgenössisches: Beat Furrers „La Bianca Notte“ und die Kammeroper „Exit G“ thematisieren die Möglichkeit musiktheatralen Erzählens

VON ROBERT MATTHIES

Viel Kritik hat Opernchefin Simone Young einstecken müssen. Zu gediegen seien die Inszenierungen unter ihrer Leitung gewesen, zu viel verschnörkeltes Ausstattungstheater habe es gegeben. Als wolle sie der Kritik im Nachhinein den Wind aus den Segeln nehmen, setzt die scheidende Generalmusikdirektorin in ihrer letzten Spielzeit nun auf Zeitgenössisches.

Zwei Stücke sind diese Woche zu erleben, die sich thematisch erstaunlich ähneln. Bereits im April hat Michael Maierhofs und Steffen Pohls Kammeroper „Exit G“ in der Opera stabile Premiere gefeiert, von Freitag bis Sonntag ist das Stück wieder zu hören. Ins Zentrum rückt das Stück das Gebrochene der Stimme und das handelnde singende Subjekt, erzählt wird die Geschichte eines Fahrradkuriers.

Aber genau das steht zugleich zur Debatte: Wie erzählt Musiktheater Geschichten? Eine objektive Perspektive lässt das Arrangement nicht zu. Die Musiker sind um die Zuschauer herum verteilt, auf jedem Platz klingt die Musik anders. Mit mechanischen Vocodern wird in den Gesang eingegriffen, auch die Instrumente werden präpariert – das Cello etwa wird von elektrischen Zahnbürsten angeregt. Heraus kommen Geräusche, die das rastlose Leben in der Stadt hörbar machen: den Stress, den Krach, die Geschwindigkeit.

Auch die Oper „La Bianca Notte / Die helle Nacht“, die am morgigen Sonntag im Großen Haus uraufgeführt wird, hat die Rastlosigkeit des technisierten Lebens und die gesungene Stimme in all ihren Nuancen zum Thema. Und fragt zugleich nach der Möglichkeit und dem Sinn des musiktheatralen Erzählens: nach seiner Bedeutung für die Identität des zeitgenössischen Menschen.

Komponiert hat „La Bianca Notte“ als Auftragskomposition der in der Schweiz geborene und seit langem in Österreich lebende Beat Furrer. Er gilt wegen seiner originären Musiksprache als einer der bedeutendsten lebenden Komponisten Neuer Musik. Im Herbst hat das Aktuelle-Musik-Festival „Greatest Hits“ dem Gründer des renommierten Klangforum Wien seinen Schwerpunkt gewidmet. Kurz zuvor war Furrer für seinen „unverwechselbaren Stil“ mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet worden.

Seit rund 30 Jahren erkundet Furrer unermüdlich die Möglichkeiten der Stimme zwischen Sprechen und Singen, möchte sie von ihrer konventionellen Gestalt befreien und auf ihre Wurzeln zurückführen. „Erzählung in die Tiefe“ nennt der 60-Jährige den komplex verschachtelten Erfahrungsraum, in dem er die Stimme als Verhältnis von Klang und Sprache erforscht.

Grundlage von „La Bianca Notte“, Furrers sechster Oper, ist das Leben, Schaffen und Scheitern Dino Campanas. Es ist ein Schicksal, das exemplarisch für viele Künstler des frühen 20. Jahrhunderts steht, so Furrer. Ein Vagabund und visionärer Dichter im Umkreis der Futuristen war Campana, zutiefst getroffen davon, dass niemand seine Gedichte und kurzen Prosastücke drucken wollte. 1914 erschien sein einziges Buch „Canti orfici“ – „Orfische Gesänge“ – im Selbstverlag. Als Künstler aber scheiterte Campana. 1918 wurde er in Nervenheilanstalt von Castel Purci eingeliefert, wo er am 1. März 1932 im Alter von 47 Jahren unter mysteriösen Umständen starb.

Das Libretto hat Furrer auf der Grundlage von Texten aus den „Canti orfici“ und Originaldokumenten – unter anderem Marinettis Futuristisches Manifest – als frei assoziierte Textcollage selbst geschrieben. In 17 Szenen wird Campanas Leben als Exemplarisches erzählt – und seine Texte als Gegenentwurf zur Maschineneuphorie der Futuristen gelesen.

Eine historische Oper ist „La Bianca Notte“ dennoch ebensowenig wie ein Künstlerdrama. Vielmehr wird die Geschichtlichkeit selbst zum Thema, rückt Furrer die Aufhebung und Gestaltung der Zeit in den Mittelpunkt. Denn fasziniert war er vor allem von Campanas Vorstellung einer „komprimierten Erzählung“, in der „eine fast mythologische Zeitlosigkeit“ in einem dialektischen Verhältnis zu einer „rastlos rasenden Erzählung“ stehe.

Keine Oper über einen Dichter also, sondern über einen Menschen, der mit seiner Identität ringt, als Figur einer Identitätskrise und als Scheitern des erzählenden Subjekts. Sinnvoller kann Young ihren Abschied als Künstlerin nicht erzählen lassen.

■ „Exit G“: Fr, 16. 5. bis So, 17. 5., je 20 Uhr, Opera Stabile. „La Bianca Notte“: So, 10. 5., 18 Uhr, Großes Haus. Weitere Aufführungen: Mi, 13. 5., Sa, 16. 5., Di, 19. 5., So, 24. 5., Mi, 27. 5. und So, 31. 5., je 19.30 Uhr