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Archiv-Artikel

Als die Folter in Bremen System hatte

STAATSVERSAGEN Mit einem Denkmal für das Brechmittel-Opfer Laye Condé will eine Bremer Initiative an Menschenrechtsverletzungen erinnern. In der Stadt wird darüber gestritten, ob man eines Drogendealers gedenken darf

„Niemand darf unter polizeilicher Obhut ums Leben oder nachhaltig zu Schaden kommen – Punkt“

BREMENS POLIZEICHEF LUTZ MÜLLER

Selten wurde in Bremen so hitzig über ein Mahnmal gestritten wie Anfang 2015: In den Wallanlagen gegenüber der Kunsthalle soll ein Denkort an den Tod des aus Sierra Leone stammenden Laye Condé erinnern. Er war 2005 im Polizeigewahrsam an einem Brechmittel gestorben, das ihm zwangsweise eingeflößt wurde, weil er verdächtigt wurde, mit Drogen zu handeln.

Jahrelang wurde über seinen Tod vor Gericht verhandelt. Mit Verweis auf das laufenden Verfahren gegen den verantwortlichen Polizeiarzt kam von offizieller Seite in der Zeit keine Entschuldigung. Erst im Oktober 2013 wurde der Prozess eingestellt. Für AktivistInnen der antirassistischen „Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé“ ist es nun Zeit für ein offizielles Gedenken – und damit ein Zeichen für das Eingestehen staatlicher Schuld.

Doch es gibt Widerstand. CDU- und SPD-Politiker kritisierten, dass kein Denkmal für einen Drogendealer aufgestellt werden dürfe. Condé hatte zwar ein paar Drogenkügelchen erbrochen, im Falle einer Verurteilung hätte ihm aber höchstens eine Geldstrafe gedroht. Dennoch schimpften in Online-Foren manche Kommentatoren, er habe den Tod verdient.

Der Gedenk-Initiative allerdings geht es ohnehin um mehr als nur um die Erinnerung an Condés Tod: Es geht um Gewalt des Staates und der Polizei, um zur Einhaltung der Menschenrechte und um „staatlichen Rassismus“.

Denn die brutale Brechmittel-Prozedur wurde in Bremen seit Anfang der 1990er-Jahre in Tausenden Fällen angewandt – vor allem bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Wurden sie des Dealens verdächtigt, sollten sie vermeintlich verschluckte Drogen erbrechen, damit Beweise gesichert werden konnten. Teilweise wurden sie dazu wie Condé auf einen Stuhl geschnallt und ihnen wurden Wasser und Medikamente durch einen Schlauch in den Magen gepumpt. Seitenweise haben antirassistische AktivistInnen die körperlichen und seelischen Folgeschäden der Praxis dokumentiert. Es ging um Abschreckung.

Die Brechmittel-Prozedur hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2005 als Folter verurteilt. In Bremen hatte sie jahrelang System. Bis zu Condés Tod und auch, nachdem 2001 in Hamburg der Nigerianer Achidi John daran starb, haben Politiker, Polizei und Staatsanwaltschaft in Bremen die Brechmittel-Folter verteidigt.

Heute bedauern sie den Tod Condés. Doch anders als für manche Verantwortliche von damals stellt er für die Gedenk-Initiative keinen tragischen Einzelfall dar, war sein Tod keine „Überraschung“, wie es zuletzt Bremens ehemaliger Bürgermeister Henning Scherf (SPD) vor Gericht formulierte.

Gerade deshalb will die Gedenk-Initiative die politische Debatte mit einem Denkort präsent halten. Wie das aussehen kann, wissen sie schon. Ein Entwurf zeigt ein Ensemble aus vier Metallstühlen, wie sie in der westafrikanischen Region gebräuchlich sind, aus der Laye Condé geflohen war. Einer der Stühle ist umgekippt. Eine Gedenktafel und ein Tonabspielgerät sollen Hintergründe liefern, dazu soll eine Website entstehen.

Zustimmung dafür kommt von der Linken und aus der Fraktionsspitze der Grünen. Auch Bremens Polizeipräsident Lutz Müller bezieht Position und hat sogar ein Bild von Condé in seinen Räumen im Präsidium: „Niemand darf unter polizeilicher Obhut ums Leben oder nachhaltig zu Schaden kommen – Punkt“, sagt Müller. Bei dem Erinnern gehe es „um den durch Politik gewünschten und legitimierten zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln, mangelnde Kritikfähigkeit und fehlende Verantwortungsübernahme“. Die Frage, ob Condé Drogen verkauft habe, ist für ihn „irrelevant“.  JEAN-PHILIPP BAECK