piwik no script img

Archiv-Artikel

Verlängert essen

OFFENER TISCH Wie kocht man eine Mahlzeit, von der fünf oder auch fünfzehn Gäste satt werden? Unser Autor hat es durch eine gastfreundliche Tradition in seinem Elternhaus gelernt

Küchle und Salat

Zutaten für 3 bis 4 Personen, beliebig erweiterbar.

Fleischküchle:

■ 500 Gramm Bio-Hackfleisch (gemischt von Rind und Schwein)

■ 2 Zwiebeln

■ 250 Gramm altes Weißbrot

■ Salz, Pfeffer, Muskat

■ 1 Bund Petersilie

Kartoffelsalat:

■ 1 kg festkochende Kartoffeln

■ 1 Zwiebel

■ 0,5 Liter Fleischbrühe

■ 0,1 Liter Essig

■ Sonnenblumenöl

■ Salz, Pfeffer

Weißbrot 30 Minuten in lauwarmem Wasser einweichen und mit den Händen zermantschen. Wasser abgießen und Brot gut ausdrücken. Mit dem Fleisch, fein geschnittenen Zwiebeln, der gehackten Petersilie und Gewürzen vermischen. Handteller große „Küchle“ formen und bei milder Hitze anbraten, bis eine dunkelbraune Kruste entsteht.

Kartoffeln kochen, abkühlen lassen und schälen, solange sie noch warm sind. In dünne Streifen schneiden, die sehr fein geschnittene Zwiebel zugeben und nach und nach Brühe und Essig hinzufügen, bis sie keine Flüssigkeit mehr aufnehmen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und Sonnenblumenöl angießen. Beim Durchmischen mit einem Löffel muss der Salat Schmatzgeräusche von sich geben.

VON PHILIPP MAUSSHARDT

Ein besticktes Tüchlein hing in der Küche meiner Kindheit an der Wand, auf dem mit blauen Kreuzstichen geschrieben stand: „Fünf sind geladen, zehn sind gekommen. Gieß’ Wasser zur Suppe heiß’ alle willkommen.“ Der Spruch wurde oft zitiert, wenn sonntagabends wieder mehr Menschen am Esstisch saßen, als eigentlich eingeplant waren.

Jeden Sonntag war in unserer Familie „offenes Haus“, es konnte kommen, wer wollte, und es gab immer etwas zu essen. Es hatte sich bei meinen und den Freunden meiner Brüder schnell herumgesprochen, dass man Sonntags umsonst gut essen und trinken konnte, und so saßen manchmal bis zu 15 Menschen um den ausziehbaren Esstisch herum.

Das gemeinsame Abendessen war nur das Vehikel. Bei Spätzle, Fleisch und Sauce kam das Gespräch meist auf ein aktuelles politisches Thema, und bisweilen verhinderten nur die guten Manieren, dass man die Messer nicht zweckentfremdete. Es war die Zeit, als die Grünen die zementierte Parteienlandschaft aufbrachen und Willy Brandt und mein Vater beziehungsweise mein Vater und Willy Brandt die Gründung dieser Partei als persönliche Beleidigung empfanden.

Gekocht wurde abwechselnd, mal von Familienmitgliedern, mal von Freunden, ausgenommen davon war nur mein Vater, der in dieser Hinsicht ein echter Versager war.

Er hatte sich seinen Freischein dadurch erworben, dass er beim ersten Mal, als er kochen sollte, ein einziges Desaster in der Küche anrichtete und alle hungrig nach Hause gingen.

Er sollte Fleischküchle, auch als Frikadellen, Buletten, Fleischpflanzerl bekannt, zubereiten, jeden Handgriff hatte ihm meine Mutter auf einem Blatt Papier beschrieben und die Zutaten bereitgestellt (siehe Rezept). Sogar das alte Weißbrot hatte sie in einer Schüssel schon in Wasser eingeweicht. Allein: Sie hatte auf dem Zettel nicht ausdrücklich erwähnt, dass das eingeweichte Brot aus der Wasserschüssel erst ausgedrückt und dann mit allen anderen Zutaten vermischt werden sollte. Mein Vater schüttete den gesamten Inhalt der Schüssel zum Fleisch und zu den gehackten Zwiebeln und versuchte anschließend aus der wässrigen Pampe Fleischküchle zu formen. Erwartungsgemäß misslang es. Schließlich schmiss er alles in die Pfanne und es entstand eine Art Brotsuppe, die grausig schmeckte. Ob er das absichtlich tat, um nie mehr für den Küchenjob eingeteilt zu werden, kann ich ihn nicht mehr fragen. Aber ich vermute es.

Bei der Auswahl der Gerichte war immer entscheidend, ob sie, wenn Überraschungsgäste kämen, schnell verlängert werden konnten oder ob es Gerichte waren, die man sowieso in größeren Mengen produzieren konnte, um den Rest einzufrieren. Maultaschen zum Beispiel oder Fleischküchle macht man in unserer Gegend in Württemberg grundsätzlich immer gleich im Dutzend.

Die Tradition der Sonntagsessen nahm ich vor einiger Zeit wieder auf, nachdem sich meine Frau von mir oder ich mich von ihr getrennt hatte. So genau wissen wir es nicht. In meiner neuen Wohngemeinschaft kam die Idee gut an. Mein Umzug war nicht zuletzt wegen meiner Kippbratpfanne ein aufsehenerregendes Ereignis gewesen. Sie wiegt 350 Kilo und benötigt einen Starkstromanschluss und steht jetzt unter einem Vordach hinter dem Haus im Garten. Dank dieser Kippbratpfanne können zweihundert Menschen am Sonntagabend erscheinen, das wäre kein Problem.

Möglicherweise war sie auch ein Grund für die Trennung, ich müsste das mal erfragen. Ich hatte die Kippbratpfanne vor ein paar Jahren nach zu viel Rotwein nachts bei Ebay ersteigert und meiner Frau nichts davon erzählt. Erst als die Spedition klingelte und nach einem Gabelstapler zum Abladen fragte, wurde mir klar, dass dieses Ding irgendwie etwas Größeres sein musste. Lange stand sie ungenutzt herum, jetzt wird sie wieder eingesetzt.

„Gieß’ Wasser zur Suppe“ soll ab sofort mehr als nur eine Erinnerung auf dem bestickten Tüchlein sein.

Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier ab sofort jeden Monat über seinen offenen Sonntagstisch. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere KorrespondentInnen berichten, was in anderen Ländern auf der Straße gegessen wird.