Der Feldversuch

BODEN In Gatow an der Havel will sich Volker Hegmann nur von dem ernähren, was er und andere auf dem eigenen Acker kultivieren. Doch das ist ziemlich aufwendig

„Der Weltacker soll uns vor Augen führen, dass wir mit unser heimischen Pflanzenvielfalt locker auf importierte Lebensmittel verzichten könnten“

LUISE KÖRNER, ZUKUNFTSSTIFTUNG LANDWIRTSCHAFT

VON RALF PAULI

Am liebsten isst Volker Hegmann sein eigenes Gemüse. Auf dem Tempelhofer Flugfeld zieht der 50-Jährige Möhren, Salat, Tomaten, Bohnen. Zwei Quadratmeter misst sein Hochbeet. Wie viel Platz er wohl bräuchte, fragt sich der Hobbygärtner, um sich komplett vom eigenen Anbau ernähren zu können?

Auf der Lebensmittelmesse „Stadt Land Food“ in Berlin erhält Hegmann eine Antwort auf seine Frage: 2.000 Quadratmeter. So viel Ackerfläche steht jedem Menschen theoretisch zur Verfügung. Ausgerechnet hat das Luise Körner von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Die Stiftung fördert den Anbau nachhaltiger und gentechnikfreier Lebens- und Futtermittel. Mit der simplen Rechnung will sie unser Konsumverhalten spiegeln: Der Lebensmittelverbrauch der Europäer beansprucht doppelt so viel an Ackerfläche, wie ihnen rechnerisch zusteht. Körner will beweisen: Wir können uns auch von 2.000 Quadratmetern gesund ernähren.

Auf der Lebensmittelmesse sucht die 31-jährige Projektleiterin deshalb Hobbygärtner und zwölf Testesser für den „Weltacker“ in Gatow. Auf einem Feld im Südwesten von Berlin soll alles angebaut werden, was ein Mensch braucht, um sich ein Jahr lang zu ernähren: Gemüse, Kartoffeln, Getreide, Obst. Aber auch Sonnenblumen für Öl, Kräuter und kaum bekannte Raritäten wie die Husumer Puffbohne oder das Urgetreide Einkorn. Mehr als 60 verschiedene Pflanzen für eine ausgewogene Ernährung. „Der Weltacker soll uns vor Augen führen, dass wir mit unser heimischen Pflanzenvielfalt locker auf importierte Lebensmittel verzichten könnten“, erklärt Körner.

Ware gegen Feldarbeit

Die Ackerfläche pachtet die Stiftung seit vergangenem Jahr bei einem Biobauern aus Gatow. Neben dem Feld steht ein Bienenstock, bei einem nahen Bauernhof sind zwei Zweinutzungshühner untergebracht. Für Honig und Eier ist also ebenfalls gesorgt. Fehlen nur noch die Helfer: fürs Aussäen – und fürs Essen. Der Deal: eine Woche frische Ware vom Acker gegen zwei Tage Feldarbeit und ein Erfahrungsbericht über die zubereiteten Speisen. „Da bin ich dabei“, denkt sich Hegmann.

Ein halbes Jahr später ist Aussaat am Weltacker. Hegmann, karierte Kappe, kariertes Hemd, steht auf dem schmalen Ackerstreifen und leistet seinen „Frondienst“, wie er es nennt. Boden jäten, Unkraut ausstechen. Hegmann schwitzt. Es ist ein warmer Apriltag. „Ich hab bestimmt schon 50 Kilo Erde von Quecken befreit“, glaubt Hegmann und streicht sich den Schweiß aus der Stirn. Dort, wo Hegmann den Boden von Unkraut befreit, sollen Kartoffeln wachsen. Am Ende des Tages wird Hegmann die erste Lebensmittelkiste, einen Fragebogen und eine Kamera in Empfang nehmen. Der Weltackerversuch hat begonnen.

Noch ist das Feld ziemlich karg. Getreide und Soja sind ausgesät, Jungbohnen, Möhren, Spinat und Kohlgewächse angepflanzt. Das Weltackerteam, neben Körner noch ein Koch und eine Landwirtin, hat einen exakten Anbauplan erstellt – errechnet anhand von Ertragswerten für die Region. „Natürlich ist der sandige Boden nicht perfekt für den Anbau“, räumt Körner ein. „Aber das ist ein Teil der Idee des Weltackers: das anzupflanzen, was genau hier gut wächst.“

Für Brandenburg heißt das: Roggen und Hafer statt Weizen oder Dinkel. Und viel kompostieren, um den Pflanzen Halt und Nährstoffe zu geben. 1,7 Kilo Lebensmittel müssen pro Tag geerntet werden, um den Tagesbedarf von 2.300 Kilokalorien zu decken. Getreide und Kartoffeln liefern Kohlenhydrate, Hülsenfrüchte wie Bohnen oder Soja Eiweiß und Eisen. Aus Sonnenblumen wird Öl gepresst. Aufs Jahr gerechnet braucht ein Mensch 616 Kilo an Weltackerlebensmitteln, Ernteausfall mitgerechnet. Die Landwirtin hat das Feld so angelegt, dass am Tag 300 Gramm Obst und 600 Gramm Gemüse zur Verfügung stehen: Fenchel, Pastinaken, Spinat, Mangold, Brokkoli, Kohlrabi, Sellerie, Karotten, Gurken, Zucchini, Auberginen, Paprika, Tomaten und Kürbis. Die Gemüseauswahl kann sich sehen lassen. Florian Kliem, der Weltackerkoch, hätte am liebsten noch mehr angebaut, doch die Landwirtin hat abgewiegelt: „Zu viel Arbeit. 2.000 Quadratmeter sind schließlich kein Kleingarten.“ Der Kompromiss: Auf einem Zehntel der Fläche kann Kliem mit seltenen oder unbekannten Sorten wie der Liebhaber-Erdbeersorte „Mieze Schindler“ experimentieren. „Jeder gute Koch schwört auf Mieze Schindler“, beteuert Kliem.

Florian Kliem hat sein Handwerk in einem Sterne-Restaurant gelernt und sich eines Tages selbstständig gemacht. Der unbewusste Konsum im Restaurant hat ihn gestört. „Da hinterfragt keiner, woher im Winter die Tomaten kommen. Da kommt man schon ins Grübeln.“ Doch genauso stören den 30-Jährigen das künstliche Supermarktangebot und seine ökologischen Folgen. Knapp die Hälfte der weltweiten Getreideernte geht für die Fleischproduktion drauf. Pro Europäer sind das umgerechnet rund 700 Quadratmeter, ein Drittel der Weltackerfläche. „Wer sich vegetarisch ernährt, kann am meisten dazu beitragen, dass die Landverteilung irgendwann wieder gerechter wird.“

Auf Fleisch kann Volker Hegmann gut verzichten. Nach getaner Arbeit nimmt er eine Kiste voller Waren entgegen: Mais- und Roggenmehl, Linsen, Soja, Kartoffeln, Äpfel, Birnen, Honig, Sonnenblumenöl, Pastinaken, Möhren, Salat, eingelegtes Sauerkraut, passierte Tomaten, Zucchini-Chutney. „Das sieht nicht so viel aus“, sagt Hegmann. Er klingt enttäuscht. Zudem stammen die Waren aus dem örtlichen Biomarkt. Das Weltackerteam hat dort einen „Lebensmittelkredit“ aufgenommen. Bis sie selbst ernten können, stellt der Biomarkt die Produkte. Nach der Ernte bekommt er alles wieder zurück. Der Rest wird eingelagert für die Wintermonate. Wo, steht noch nicht fest.

Zwölf Testesser berichten

Und das ist nicht die einzige offene Frage für das Weltackerteam. Im Winter endet der Pachtvertrag. Dann muss der Weltacker umziehen. „Am liebsten direkt in die Stadt“, verrät Körner. „Wenn wir nichts finden, bewerben wir uns bei der Internationalen Gartenausstellung 2017 in Marzahn.“ Bis dahin wissen sie, ob sie einen Mensch ein Jahr lang satt bekommen können. Und was die heimische Vielfalt für Rezepte auf den Tisch zaubert. Insgesamt zwölf Testesser schicken dem Team ihre Berichte.

Volker Hegmann war beim Zubereiten der Weltackerlebensmittel erfinderisch. Maisgrieß zum Frühstück, Roggenschupfnudeln abends. „Das war eine Woche voller Überraschungen. Und das alles ohne ein Spur von Hungergefühl.“ Doch der Bericht fällt gemischt aus. Zum Brotbacken fehlte Hegmann die Zeit. Er musste welches nachkaufen. Das Roggenmehl und die Öle hat er nicht aufgebraucht.

Haben die Deutschen überhaupt die Zeit, sich autark zu ernähren? In Schweden, Schottland und China laufen gerade ähnliche Feldversuche an. Sollte der Test in Brandenburg scheitern, könnten vielleicht sie beweisen: Ein Mensch kann sich von 2.000 Quadratmetern ernähren.