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Archiv-Artikel

Bachelet versucht den Befreiungsschlag

CHILE Von Finanz- und Korruptionsskandalen in den eigenen Reihen geplagt, kündigt Chiles sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet an, binnen drei Tagen ihr gesamtes Kabinett auszutauschen

BUENOS AIRES taz | Chiles Präsidentin Michelle Bachelet hat alle überrascht. Am Mittwochabend verkündete die 63-jährige Sozialistin in einem Fernsehinterview, dass sie gerade vor einer Stunde ihr gesamtes Kabinett zum Rücktritt aufgefordert habe. In drei Tagen sollen alle Ministerposten neu besetzt werden. Offen ließ die Präsidentin, wer tatsächlich gehen muss, und wer bleiben darf.

Mit ziemlicher Sicherheit dürfte ihr bisheriger Innenminister Rodrigo Peñailillo nicht mehr dabei sein. Dass der 41-Jährige Youngster das in Chile gleich nach dem Präsidentenamt wichtigste Exekutivamt besetzen durfte, bestätigte seine Rolle als politischer Ziehsohn und engster Vertrauter Bachelets. Doch Peñailillo geriet wegen des schlechten politischen Managements der Finanzaffäre um Bachelets leiblichen Sohn in Turbulenzen. Und Mitte April geriet er selbst in eine zwielichtige Parteispendenaffäre, als bekannt wurde, dass er offensichtlich für nicht geleistete Beratertätigkeiten Honorare kassierte.

Dass Bachelets Sympathiewerte bei der Bevölkerung in den letzten Monaten auf 31 Prozent Zustimmung gesunken sind, kann denn auch nicht der Grund für den Wechsel sein. Chilenische Präsidenten dürfen sich nicht unmittelbar zur Wiederwahl stellen und die meisten von ihnen scheiden mit schlechten Werten aus dem Amt. Bachelet machte da eine Ausnahme, als sie nach ihrer ersten Amtszeit mit 80 Prozent Zustimmung ausschied.

An der politischen Handlungsfähigkeit der Präsidentin nagen jedoch der Finanzskandal, in den ihr Sohn verwickelt ist, sowie die Korruptionsskandale, die in den letzten Monaten bekannt wurden – und in die sich jetzt auch ihr bisheriger Innenminister einreiht.

Noch Ende April hatte die Präsidentin versucht, das Steuer herumzureißen, und in einer ihrer seltenen Fernsehreden an die Nation eine umfassende Neuregelung bei der Parteienfinanzierung und beim Umgang mit Interessenkonflikten angekündigt – Maßnahmen gegen die Vetternwirtschaft.

Die Wirkung dieses Befreiungsschlags hielt keine zehn Tage an. Als am vergangenen Wochenende bekannt wurde, dass Innenminister Peñailillo mit mutmaßlich gefakten Berichten seine Beratertätigkeit nachweisen wollte, war das Maß voll. Wohl auch, um Peñailillo nicht allein zum Buhmann zu machen, forderte Bachelet gleich den Rücktritt des ganzen Kabinetts.

JÜRGEN VOGT