piwik no script img

Archiv-Artikel

Daniel Heiman erinnert sich

Ich lebte 1945 in einem Kibbuz in Palästina, wir waren eine Gruppe von ungefähr 20 Leuten, die dort Landwirtschaft lernten. Dann hieß es, der Krieg ist aus. Aber niemand hat sich gefreut. Für uns Juden war der Krieg eine Katastrophe gewesen, und niemand konnte sich so einfach umstellen und sagen, jetzt werde alles gut. Alle im Kibbuz hatten traurige Gedanken, trotzdem wurde gefeiert. Der Kibbuz hat eine Feier im Speisesaal organisiert. Es wurde getanzt, und man hat auch ein paar Flaschen Wein gebracht. Mein Freund hat sich furchtbar betrunken. Wir wohnten damals in einem Zelt mit zwei eisernen Bettstellen mit Strohmatratzen. Mitten in der Nacht merke ich, dass mein Freund am Mast des Zeltes stand und sich erleichterte. Ich habe ihm einen Fußtritt gegeben.

Ich weiß nicht mehr, was ich vor 70 Jahren gedacht oder gefühlt habe. Das Verhältnis zwischen mir als ehemaligem deutschen Juden und Deutschland ist nicht einfach. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als eine Gruppe von Hitlerjungen auf der Straße an unserem Haus vorbeizog. Ich hätte mein Leben dafür gegeben, um dazuzugehören. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn ich auf der anderen Seite der Straße gewohnt hätte und nicht von jüdischen Eltern abstammen würde. Ich bin mir sicher, dass ich zur Wehrmacht gekommen wäre. Mein Vater hat im Ersten Weltkrieg für Kaiser und Vaterland gekämpft. Zwei meiner Onkel sind fürs Vaterland gefallen. Unsere Familie bestand aus großen Patrioten. Die Idee, Deutscher zu sein, ist nicht so absurd, wie sie uns heute erscheint.

Ich hasse die Deutschen nicht, denn ich bin gegen jede Verallgemeinerung. Die Rache, die ich an den Nazis genommen habe, ist, dass ich meine Familie fortgeführt habe. Die Nazis wollten meine Familie vernichten. Heute habe ich drei Enkel. Ich habe einen Kibbuz mitbegründet. Ich habe gewonnen.

NOTIERT VON KLAUS HILLENBRAND

■ Daniel Heiman, als Theodor Heimann 1926 in Nürnberg geboren, emigrierte 1938 nach Palästina. Seine Eltern wurden im Holocaust ermordet. Er lebt heute in einem Altersheim bei Tel Aviv