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Archiv-Artikel

Die Durchwurschtlerin

TENNIS Angelique Kerber feiert eine so wundersame wie unerwartete Wiederauferstehung und gewinnt unermüdlich kämpfend in Stuttgart den bislang größten Titel ihrer Karriere

Kerber ist immer für eine Überraschung gut – für ihre Fans, für ihre Rivalinnen, für sich selbst

AUS STUTTGART JÖRG ALLMEROTH

Torben Beltz ist ein Mann, der gern optimistisch in die Welt blickt. Doch als der Mann aus dem hohen Norden Ende März in Miami einen Lagebericht als neuer und wieder installierter Trainer von Angelique Kerber abgab, da war von seiner gewohnten Zuversicht wenig zu spüren und zu hören: „Durchwurschteln“ müsse man sich die nächsten Wochen, wenn nicht Monate, es gelte, „langsam und beharrlich“ das verlorene Selbstvertrauen der Spielerin aufzubauen. „Es wird ein hartes, hartes Stück Arbeit“, sagte Beltz, „aber wir packen es entschlossen an.“

Doch Kerber ist immer für eine Überraschung gut. Für ihre Fans, für ihre Rivalinnen, für sich selbst – und für ihren Übungsleiter Beltz. Der saß am Sonntagnachmittag in der Ehrenloge, am Rande des Stuttgarter Centre Courts, und betrachtete ungläubig und gelegentlich kopfschüttelnd die Siegerehrung. Triumphiert hatte mit einem gewaltigen Willensakt gegen die Dänin Caroline Wozniacki seine Chefin, die Frau, die in der Eröffnungsphase dieser Saison in eine schwere Ergebnis- und Befindlichkeitskrise gerutscht war – und die nun ein Comeback auf den Stuttgarter Sandplatz gezaubert hatte, das selbst die eisernsten Kerber-Parteigänger mit Verblüffung quittierten.

Kein Zweifel: Der Stuttgarter Turniersieg gehört neben den US Open des Jahres 2011 zu den wichtigsten Wegpunkten in der erstaunlichen Profilaufbahn der 27-Jährigen. Damals, vor knapp vier Jahren, rettete sie mit dem plötzlichen Grand-Slam-Halbfinaleinzug ihre berufliche Existenz als Tennisspielerin, knapp davor, „alles hinzuschmeißen und was anderes als Tennis zu machen“. Nun stoppte sie mit überragender Moral, Kampfkraft und Leidenschaft den Abwärtstrend der zunächst so verfluchten Saison 2015 – und holte sich binnen drei Wochen zwei WTA-Titel, neben Stuttgart auch noch in Charleston. Ein „echter Hammer“ sei das alles, so Kerber, „das fühlt sich an wie im Traum“.

Beim wichtigsten deutschen Turnier zeigte Kerber, was sie im Zweifelsfall alles anderen deutschen Kolleginnen und oft genug auch anderen Weltklassespielerinnen voraus hat: Die Bereitschaft, stets an ihre körperlichen und mentalen Grenzen zu gehen. Die Qualität, selbst in aussichtslos scheinenden Spielsituationen nicht zu verzagen und weiter, immer weiter an die eigene Chance zu glauben. Und ganz einfach die immer wieder bewiesene Kraft, das Unmögliche in hochklassigen Matches möglich zu machen, so wie auch im Finale gegen Wozniacki, als sie im Schlussakt, dem dritten Satz, noch 1:3- und 3:5-Rückstände aufholte. „Wer Angie abschreibt, macht einen Riesenfehler. Und kennt sie nicht“, hatte kürzlich ihre beste Freundin Andrea Petkovic gesagt, „ihre Sturheit und ihre Hartnäckigkeit werden sie wieder in die Erfolgsspur bringen. Garantiert.“

Doch niemand hatte auf der Rechnung, dass Kerber so schnell wieder in ihre Paraderolle als Entfesselungskünstlerin schlüpfen würde. In diesem konkreten Fall im doppelten Sinne: Sowohl gegen Caroline Wozniacki im Endspiel wie auch im endgültigen Überwinden der Formschwäche und Selbstvertrauensdefizite. „Das ist jetzt schon ein unheimlich stolzes Gefühl“, sagte Kerber, die mit dick bandagiertem Oberschenkel trotzdem noch eine der härtesten Wettkämpferinnen der Tour, die superfitte Caroline Wozniacki, in Grund und Boden rannte. Es wirkte in der Endphase, als ob Kerber spielen und siegen wollte, bis der Arzt käme.

Geschlagen blieben in Stuttgart auf der Strecke die Nummer 2 der Welt und Titelverteidigerin, Maria Scharapowa, die Nummer 8, die Russin Elena Makarova, und zuletzt auch Nummer 5, Caroline Wozniacki. Das alles war ein Verdienst guter Nerven, wohl auch der Partnerschaft mit dem alten Vertrauten Beltz – aber eben auch dem eigenen Willen, sich nicht erst mit den mittelmäßigen Resultaten der jüngsten Zeit abzufinden. „Ich habe einen hohen Anspruch an mich“, sagt Kerber, „deshalb war ich auch so unzufrieden mit mir.“ Vorbei und vergessen: Kerber ist wieder zurück, ganz vorne in der Tennis-Welt. Auch als Fräulein Zuverlässig aus Deutschland.