piwik no script img

Archiv-Artikel

Absurd verrannt

RASSISMUS Beim Stockholm-Marathon sollten nur nordische Läufer Preisgelder erhalten. Der Protest zeitigt nun Wirkung

„Vielleicht waren wir ja naiv. Wir wollten etwas für den nordischen Laufsport tun“

LORENZO NESI, PRESSESPRECHER DES STOCKHOM-MARATHONS

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Vor gerade mal einem halben Jahr hielt man die Initiative der Marathon-Verantwortlichen noch für eine clevere Idee. „Wir sind sehr stolz und dankbar“, lobte Anders Albertsson, Generalsekretär des schwedischen Leichtathletikverbands. „Auch in unseren Nachbarländern ist sie unglaublich positiv aufgenommen worden.“

Jetzt wiederum spricht derselbe Anders Albertsson von dem „klugen Beschluss“, diese Regelung wieder zu ändern. Und überhaupt scheinen sich plötzlich alle einig zu sein, dass man da völligen Bockmist gebaut hatte. „Wie kann man auf die absurde Idee kommen, dass unsere Sportler ohne Konkurrenz schneller laufen lernen als mit?“, wundert sich beispielsweise der schwedische ehemalige Mittelstreckenläufer Rizak Dirshe. Und der norwegische Sportjournalist Andreas Selliaas will „ja nicht ausschließen, dass man das irgendwie gut gemeint hatte“, aber könne man eine solche Idee wirklich anders als rassistisch nennen?

Tatsächlich dürfte es schwer sein, ein passenderes Wort für das zu finden, was die Veranstalter des Stockholm Marathon geplant hatten: Bei der diesjährigen 37. Auflage dieses Marathons, der am 30. Mai gestartet wird, sollten nämlich ausschließlich LäuferInnen aus nordischen Ländern Preisgelder erhalten. Die aus anderen Ländern als Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und Island sollten selbst im Fall einer besseren Platzierung leer ausgehen – mal abgesehen von einer Urkunde oder Medaille. Man sei es wohl leid gewesen, dass seit 2001 bei den Männern kein skandinavischer Teilnehmer mehr auf dem obersten Treppchen gelandet sei, sondern nur Läufer aus Ostafrika, Marokko und Jordanien, vermutet Selliaas.

Lorenzo Nesi, Pressesprecher von Stockholm Marathon, drückt das etwas anders aus, bestätigt aber im Prinzip diese Intention: „Unsere Absicht war, das niedrige Niveau nordischer Läufer anzuheben. Wir sind ja ganz buchstäblich überrannt worden. Das war als Experiment gedacht, um zu sehen, ob wir damit eine Entwicklung anstoßen können.“ Ohne Aussicht auf ein Preisgeld würde wohl kein afrikanischer Spitzenläufer auf die Idee kommen, nach Stockholm zu reisen, sagt Nesi: „Wäre ich Kenianer, würde ich das nicht machen. Das wäre ja völlig sinnlos.“ Und genau diesen Effekt hatte man sich von einer Änderung der Teilnahmebedingungen erhofft.

Die war so gut versteckt, dass es mehr als fünf Monate dauerte, bis eine breitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam wurde. Unter der Überschrift „Einzigartige nordische Marathoninitiative“ hatten die Veranstalter schon im November eine Pressemeldung verbreitet, wonach der Stockholm Marathon von 2015 gleichzeitig ein nordischer Länderkampf mit Preisgeldern von 250.000 Kronen (ca. 27.000 Euro) werden solle. Kein Wort allerdings davon, dass dies gleichzeitig bedeuten werde, Sieger oder Bestplatzierte aus nichtnordischen Ländern einfach zu übergehen. Diese Info war im vorletzten Absatz eines weiteren langen Textes versteckt, zu dem man sich von der Presseerklärung aus erst weiterklicken musste.

Bei einem als „international“ vermarkteten Sportereignis die nichtnordische Konkurrenz vergraulen und diskriminieren, damit auch einheimische Sportler mal wieder eine Gewinnchance haben? Steinar Hoen, Chef von „Bislett Games“, der jährlich in Oslo stattfindenden Leichtathletik-Gala, fasst sich an den Kopf: „Unmöglich!“ Afrikanische Läufer „von Preisgeldern ausschließen, nur weil sie zu gut sind? Das ist doch voll daneben!“

Es war Selliaas, der den Pferdefuß der Neuregelung entdeckt und sich auf Sporten.com über „eine Diskriminierung, die in eine andere Epoche gehört“, empört hatte. Als andere Medien nachzogen und sich ein Sturm der Entrüstung zusammenbraute, versuchte man bei den Marathonveranstaltern, den Rassismusvorwurf zunächst zurückzuweisen, und Pressesprecher Nesi sprach von „Klickjournalismus“. Doch 24 Stunden später erklärte er: „Die Kritik hat uns zum Nachdenken gezwungen.“ Die jetzt gefundene Lösung: Man hat den Pott mit den Preisgeldern aufgestockt. Zwar bleibt es bei der Sonderbehandlung für nordische Sportler, doch sollen nichtnordische SportlerInnen, die es auf einen der sechs ersten Plätze schaffen, das gleiche Preisgeld erhalten, das für die nordischen ausgelobt ist. Und 2016 will man wieder zur Regelung der letzten Jahre zurückkehren.

„Vielleicht waren wir ja naiv“, meint Nesi: „Aber wir wollten wirklich etwas für den nordischen Laufsport tun, haben das aber wohl nicht ganz bis zu Ende durchdacht.“ Eine Teilnahmehürde behält man für dieses Jahr aber jedenfalls bei. Hatte man sonst 25 bis 30 ausländischen – vorwiegend afrikanischen – SportlerInnen Reise und Unterkunft bezahlt, so ist diese Regelung für den diesjährigen Marathon gestrichen worden.