: „Spezielle Form von blindem Vertrauen“
PRÄGUNG Schleswig-Holsteins Energieminister Robert Habeck (Grüne) über seine Erinnerung an die Katastrophe von Tschernobyl, den Abriss von AKWs, die Suche nach einem Endlager und das Fliegen ohne Landebahn
45, ist verheiratet und hat vier Söhne. Er ist promovierter Philosoph, Schriftsteller und Politiker. Von 2004 bis 2009 war er Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, danach Fraktionschef im Landtag. Seit 2012 ist er Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume. Foto: dpa
INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT
taz: Herr Habeck, als Tschernobyl explodierte, waren Sie 16. Haben Sie Erinnerungen daran?
Robert Habeck: Wir haben damals in der Schule Shakespeares „Sommernachtstraum“ aufgeführt. Nach der Vorstellung tröpfelte es ein bisschen, und alle Leute hatten Angst und schützten sich mit allem, was sie hatten, Jacken und Plastiktüten, um nichts vom radioaktiven Regen abzubekommen. Ich war damals unendlich verliebt, aber in dem Moment war ich sicher, dass ich niemals glücklich mit jemandem leben und niemals Vater werden würde, weil wir jetzt alle sterben müssten. Es war echt ein gespenstischer Abend.
Im folgenden Sommer ging kaum jemand ungeschützt ins Freie oder gar an den Strand – und das hier an der Ostsee.
Die Spielplätze waren verwaist, Kinder durften nicht am Strand spielen. An leere Gemüseregale im Supermarkt kann ich mich auch erinnern. Es waren Wochen, die mich politisch stark geprägt haben, natürlich vor allem in meiner Ablehnung der Atomenergie. Seitdem denke ich, dass nicht alles, was technisch machbar ist, auch beherrschbar ist. Moderne Gesellschaften brauchen solch eine Grundskepsis.
Noch heute sind in Süd- und Ostdeutschland Pilze, Beeren und Wildtiere hoch belastet.
Das deutet an, in welchen Zeiträumen wir denken müssen. Tschernobyl ist schon 29 Jahre her – oder besser: erst 29 Jahre – und die Folgen sind noch immer so akut, die Gefahren gegenwärtig. Und in der Endlagersuchkommission suchen wir nach Wegen für eine sichere Lagerung für eine Million Jahre.
Die Konsequenzen wurden aber nicht damals gezogen, sondern vor vier Jahren, nach Fukushima – warum so spät?
Das würde ich so nicht stehen lassen. Wir hatten ja bereits 2000 unter der rot-grünen Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen, das wird gerne verdrängt. Nur für wenige Monate hatte Frau Merkel ihn ausgesetzt, um dann nach Fukushima plötzlich die Energiewende auszurufen. Aber es gab schon davor eine politische Mehrheit für den Atomausstieg, nur an der Umsetzung haperte es lange gewaltig.
Aber Fukushima bewies, dass auch in vermeintlich sicheren westlichen Atommeilern ein GAU – der größte anzunehmende Unfall – passieren kann, nicht nur in den angeblichen Schrottreaktoren in Osteuropa.
Alles was Menschen bauen, kann kaputt gehen oder zerstört werden. Schneller und krasser ist dann selten ein politischer Irrtum korrigiert worden. Ich glaube allerdings, das ist weniger Ausdruck einer geänderten Einsicht von Frau Merkel, sondern eher ihrem Gespür für drohende politische Niederlagen geschuldet. Frau Merkel wäre heute nicht mehr im Amt, wenn sie nicht eingelenkt hätte.
Sie haben die Atomaufsicht über das AKW Brokdorf, das bis Ende 2021 laufen soll. Geht es, das früher abzuschalten?
Hoffnung gibt es. Die Energiewende macht Atomkraft zu einer immer teureren Art der Stromgewinnung. Möglicherweise rechnet sich Brokdorf in absehbarer Zeit für den Betreiber nicht mehr. Zweitens sind meiner Auffassung nach die Sicherheitsanforderungen, die das Oberverwaltungsgericht Schleswig im Fall des Zwischenlagers Brunsbüttel genannt hat, an alle Zwischenlager und AKWs anzulegen, auch an Brokdorf.
Die Initiative Brokdorf-akut hat in dieser Woche eine Sammeleinwendung von 840 BürgerInnen gegen den geplanten Abriss des AKWs Brunsbüttel vorgelegt. Wie gehen Sie damit um?
Die Einwendungen sind nicht gegen den Abriss, sondern für höhere Sicherheiten beim Abriss. Mein politischer Wille ist, das Kapitel Atomkraft bei uns zu beenden. Und dazu gehört, den Meiler Brunsbüttel abzureißen und Krümmel und Brokdorf ebenfalls möglichst rasch. Aber genauso klar ist, dass der Rückbau so sorgfältig und gut wie möglich geplant werden und ablaufen muss. Dafür werden wir alle Einwendungen intensiv prüfen.
Die Einwender argumentieren, dem Betreiber Vattenfall gehe es darum, „möglichst viel Deponieraum zu sparen und dafür Menschen und Natur als Billigdeponie zu missbrauchen“. Finden Sie das nachvollziehbar?
Der Rückbau ist ein Riesenprojekt und löst natürlich Sorgen aus. Wir und auch Sachverständige schauen uns die inhaltlichen Punkte der Einwendungen genau an und beziehen sie in unsere Bewertung mit ein. Es gibt keinen Automatismus, dass genau so genehmigt wird wie beantragt, das sind zwei paar Schuhe. Aber dass der Meiler weg muss, steht für mich außer Frage.
Und wohin mit den Brennstäben? Das Bundesverwaltungsgericht hat das Zwischenlager am AKW Brunsbüttel für rechtswidrig erklärt. Da dürfen Sie nichts mehr unterbringen.
Die Brennstäbe müssen für den Rückbau raus aus dem Reaktordruckbehälter in Brunsbüttel, das hat für mich hohe Priorität. Als relativ sicherster Lagerort kommt das Zwischenlager Brokdorf in Frage. Wenn wir einen zügigen Rückbau wollen, dürfte das der schnellste Weg sein, aber die Entscheidung fällen letztlich die Betreiber der beiden Standorte. Wenn diese Lösung nicht gewollt ist von Brokdorf-akut, dann soll die Initiative gern eine andere vorschlagen. Ich nehme alle Bedenken und Argumente ernst. Was ich aber nicht akzeptiere ist, wenn man nicht sagt, wie es stattdessen gehen soll. Dann verliert man mich als Partner.
Wann gibt es in Deutschland ein sicheres Endlager?
Ich halte es für nicht unmöglich, dass es 2050 ein Endlager geben wird und das von dann an befüllt werden kann. Wie sicher das Endlager dann aber tatsächlich sein mag, kann nur auf dem dann jeweils aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik beantwortet werden. Deshalb müssen wir die Möglichkeit der Fehlerkorrektur und der Rückholbarkeit zwingend mit einplanen.
Sie sind Doktor der Philosophie. Können Sie erklären, warum Menschen mit dem atomaren Feuer spielen, ohne dass die Entsorgung geklärt ist?
Die Grundspannung ist die gleiche wie zum Beispiel beim Fracking oder bei genmanipulierter Nahrung. Gesellschaften begrüßen im Grundsatz den Fortschritt, er verheißt Wohlstand. Aber wenn daraus ein blinder Fortschrittsglaube erwächst, der die Dinge nicht zu Ende denkt, der sich für alternativlos erklärt, führt das in eine Sackgasse. Das Innehalten und die normative Überprüfung all dessen, was wir tun, darauf, ob es auch getan werden darf und sollte, passiert viel zu selten. Da fehlt die Orientierung, die Wertediskussion.
Es gibt den Vergleich mit dem Fliegen ohne Landebahn.
Genau dieses Bild zeigt den Irrsinn. Kein Flugzeug würde unter solchen Bedingungen starten. Die Atommeiler in Betrieb zu nehmen, ist eine sehr spezielle Form von blindem Vertrauen gewesen.
Was machen Sie am Tschernobyl-Gedenktag am 26. April?
Ich werde dieses Mal leider nicht bei der Demo in Brokdorf sein. Aber ich werde mich mit Sicherheit daran erinnern, wie gespenstisch das damals war. Deshalb müssen wir den Atomausstieg unumkehrbar machen.