Im Dunkel der Nacht

STUNDE NULL Mit dem Film „Straßenbekanntschaft“ (1948) von Peter Pewas beginnt im Arsenal eine Filmreihe über deutsches „Kino im Transit. 1945“

Der Krieg ist vorbei. Berlin ist in vier Sektoren geteilt. Wir gleiten menschenleere Straßen entlang

VON PETER NAU

„In der Entfernung“, las ich in einem alten Buch, „erfährt man nur von den ersten Künstlern, und oft begnügt man sich mit ihren Namen; wenn man aber diesem Sternenhimmel nähertritt und die von der zweiten und dritten Größe nun auch zu flimmern anfangen und jeder auch als zum ganzen Sternbild gehörend hervortritt, dann wird die Welt weit und die Kunst reich.“ Für mich war der Stern Peter Pewas 1978 während der Berlinale aufgegangen, als sein Film „Der verzauberte Tag“ (1943) lief, der die Erinnerung an Max Ophüls’ „Liebelei“ (1932) in mir wachrief. So wie bei Ophüls ist auch bei Pewas das Liebesglück in seiner Vergänglichkeit heraufbeschworen, wodurch die Zeit mit ins Spiel kommt, die dem Leben Wert und Seele und Reiz verleiht. – Eines kleinen Pewas-Films von 6 Minuten Dauer will an dieser Stelle von Herzen gedacht sein: „Wohin Johanna?“ (1946), in dem eine junge Frau (Ursula Voß) in einem Feldpostbrief ihres gefallenen Mannes liest.

„Straßenbekanntschaft“ (1948, Defa). Der Krieg ist vorbei. Berlin ist in vier Sektoren geteilt. Nicht abzuschätzen ist die Menge von Trümmern und Schutt. Wir gleiten menschenleere Straßen entlang. Von Zeit zu Zeit ein erleuchtetes Fenster in der Fassade eines stehen gebliebenen Hauses. Wir dringen ein in die tiefe Stille ringsum und lernen das Leben einiger derer kennen, die noch einmal davongekommen sind. Wir bewegen uns auf der Grenze zwischen Unter- und Halbwelt, wie sie für jene spezielle Kundschaft, die damals in den Bordellen anzutreffen war, kennzeichnend ist: gespenstische Existenzen, die von der allgemeinen Unordnung und vom Dunkel der Nacht profitieren.

Peter Pewas entledigte sich der Aufgabe, mit „Straßenbekanntschaft“ einen Aufklärungsfilm über die Gefahren der damals grassierenden Geschlechtskrankheiten zu drehen. Aber wie es mitunter bei Auftragsproduktionen zu geschehen pflegt, entrang sich der Film diesem vorgegebenen Muster. Der Vernunft überlegen, berührt er unser Gefühl. Gegen Ende zu erreicht er, als Klage über das Schicksal von Frauen in jenen Jahren, die äußersten Akzente der Trauer. – Man verliert viele Menschen auf der Straße des Lebens. Man wünscht sich, diese Gesichter wieder vor sich zu haben. Für den Filmfreund zählen auch die Schauspielerinnen von „Straßenbekanntschaft“ dazu: Gisela Trowe, Ursula Voß; und Alice Treff, die sich am Ende in der Menge auf dem Tauentzien verliert.

Peter Pewas, 1904 in Berlin-Mitte als Sohn kleiner Leute geboren, kam über das Handwerk, die Schlosserei, zur Kunst. Er ließ sich am Weimarer Bauhaus, wo Klee, Kandinsky und der Maler/Fotograf Moholy-Nagy zu seinen Lehrern gehörten, kurzzeitig inspirieren. Nach dem Krieg drehte er sehr interessante Kurzfilme, die wunderbare Momente enthalten. Diese verdanken sich auch der Tatsache, dass Pewas viel mit dem Ton arbeitete. Eine Straßenbahn fährt mit Geklingel vorbei, wonach ihr milchiges Licht im Nebel ertrinkt. Es ist Nacht. Man hört das Tuten von Schiffen aus einem Hafen. – Im spezifisch Filmischen zeigt sich, dass es übermaterielle Wirklichkeit gibt: Mit dem Blick verfolgen wir den sanften Fall eines Blattes von einer Platane („Vormittag eines alten Herrn“, 1961).

Peter Pewas starb am 13. September 1984 in Hamburg, wo er zuletzt wohnte. Er war schon vergessen gewesen, aber er hatte gut damit leben können. Er war sogar glücklich. Er malte Bilder, die er „Traumbilder“ nannte. Wie in seinen Filmen rieselt auf einem von ihnen das grelle Licht einer Neonleuchte auf die Terrasse eines Cafés hinab. In einem bewegenden Film, den Wolfgang Fischer über Peter Pewas kurz vor und nach dessen Tod gemacht hat, teilt sich das reiche Leben dieses großmütigen, ebenso stolzen wie schüchternen Menschen mit, aber auch die bewältigende Kraft, die dazugehörte, es durchzustehen. Er war einer von denen, die in anderen Ländern mehr bestellt hätten als hier, wo man den großen Regisseur mit der Laterne suchen kann.

■ „Straßenbekanntschaft“ (1948), 27. 4., Arsenal 2, 19 Uhr. Der Film läuft bei den „Erkundungen im Filmarchiv der Deutschen Kinemathek“ als Auftakt zur Reihe „Kino im Transit. 1945: Der Deutsche Spielfilm zwischen gestern und morgen“