: Teilzeit an der Tagesordnung
ARBEITSMARKT Immer weniger Arbeitnehmer bekommen unbefristete Verträge, immer mehr sind Leiharbeiter. Linkspartei kritisiert: Arbeitsmarktreformen nur „Gequatsche“
VON TOBIAS SCHULZE
BERLIN taz | Befristete Verträge, Leiharbeit und Teilzeit sind keine Ausnahmen mehr: Die Zahl der regulären Arbeitsverhältnisse ist in Deutschland in den vergangenen Jahren zwar leicht gestiegen, in den letzten beiden Jahrzehnten dagegen stark gesunken. Mittlerweile haben nur noch 67,5 Prozent der Beschäftigen einen Vertrag mit klassischen Bedingungen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor.
Als „normal Beschäftigte“ bezeichnet die Regierung darin Menschen mit unbefristeten Verträgen, die entweder Vollzeit oder zumindest mehr als 21 Stunden pro Woche arbeiten. Im Jahr 1993 galt das noch für 76,8 Prozent der Beschäftigten, fast zehn Prozentpunkte mehr als heute. Umgekehrt stieg die Zahl der „atypisch Beschäftigten“ von rund 4,4 Millionen auf rund 7,6 Millionen.
Besonders deutlich ist der Anstieg bei den Leiharbeitern. Ihre Zahl hat sich innerhalb von 18 Jahren beinahe vervierfacht. Die Summe der befristeten Verträge stieg von 1,8 auf 2,5 Millionen, die der Teilzeitangestellten von 2,8 auf 5 Millionen. Der Gesamtanteil der Menschen ohne regulären Job ging nach einem Rekordwert im Jahr 2010 zwar leicht zurück. Aber nach Ansicht der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fiel dieser Rückgang mit Blick auf die gute Lage der Wirtschaft eher bescheiden aus.
Auch die Fraktion der Linken sieht trotz des leichten Rückgangs der vergangenen Jahre keinen Grund zur Freude. „Zwanzig Jahre Reformen am Arbeitsmarkt haben für mehr Beschäftigung gar nichts gebracht. Alles nur Gequatsche von den jeweiligen Regierungen“, sagt die Bundestagsabgeordnete Jutta Krellmann, die die Anfrage gestellt hatte. Junge Leute würden reguläre Vollzeitjobs nur noch aus Erzählungen kennen, kritisiert sie.
Die Bundesregierung bewertet die Situation dagegen als weniger dramatisch. Zwar böten klassische Arbeitsverhältnisse mehr Gehalt, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und ein geringeres Entlassungsrisiko. Andererseits kämen gerade Teilzeitverträge „den Wünschen und Lebenslagen der Betroffenen“ entgegen. Sprich: Vor allem junge Eltern wollen heute öfter arbeiten als noch vor zwanzig Jahren. Auf Vollzeitjobs verzichten aber viele von ihnen bewusst.
Zudem verweist die Regierung auf den Koalitionsvertrag. Dort hätten Union und SPD Maßnahmen vereinbart, um reguläre Arbeitsverhältnisse zu fördern. Den Missbrauch von Werkverträgen wolle die Regierung verhindern und Teilzeitarbeitern ermöglichen, leichter auf Vollzeitverträge zu wechseln. Krellmann jedoch zweifelt am Erfolg der Pläne, denn Vorhaben der Koalition verliefen stets nach dem gleichen Muster: „Die SPD legt vor, die Arbeitgeberlobby schreit auf, und die Union zerschießt die Vorhaben derart, dass am Ende nichts mehr davon übrig bleibt –außer der Überschrift.“