: Wertschätzung reicht nicht
ARM Die Zahl derer, die neben ihrer Rente weiter Geld verdienen müssen, nimmt zu. Elena Voigt ist eine von ihnen – obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet hat
Elena Voigt ist 66 Jahre, hat drei Hochschulabschlüsse und seit ihrem 27. Lebensjahr praktisch ununterbrochen gearbeitet – freiberuflich in der Werbebranche, als angestellte Pädagogin und zuletzt an einer Klinik als Kunsttherapeutin. Sie hat alleine ein Kind großgezogen. „Ich habe gedacht, zusammen haut das hin“, sagte sie. Nun muss sie aber erkennen, dass nicht zählt, wie viel man geleistet hat, sondern wie viel man in die Rentenkasse eingezahlt hat. Seit drei Monaten ist sie Rentnerin und bekommt monatlich 500 Euro.
Sie hat früh geahnt, dass sie sich selbst um ihre Rente kümmern muss, und schloss eine Lebensversicherung ab, die ihr mit dem 60. Lebensjahr ausgezahlt wurde. Da ihr das Sozialamt das Ersparte anrechnet, hat sie keinen Anspruch auf Unterstützung, obwohl sie an der Armutsgrenze lebt.
Seit Voigt, die eigentlich anders heißt, in Rente ist, sucht sie einen Job. Sie würde gern wieder in ihren Branchen arbeiten. Eine komplizierte Verletzung am Rücken hat die Suche aber erst einmal unterbrochen.
Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten im Jahr 2013 mehr als 800.000 Menschen über 65 Jahren in Minijobs. Während eine Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge belegt, dass viele Personen in diesem Alter freiwillig arbeiten, wächst auch die Zahl derer, die auf das Einkommen angewiesen sind. 2013 haben 499.000 Rentner in Deutschland die Grundsicherung von knapp 400 Euro bezogen – das waren 34.500 mehr als im Vorjahr, teilte das Statistische Bundesamt mit. Rund drei Prozent der über 65-Jährigen sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Das sind so viele wie nie zuvor.
Ein komplexes Problem
„Für Altersarmut sind mehrere Aspekte ausschlaggebend“, erklärt Horstpeter Kreppel, Richter am Gericht für den öffentlichen Dienst der EU, darunter der demografische Wandel, das Geschlecht – Frauen sind deutlich häufiger betroffen – sowie das System der gesetzlichen Rentenversicherung und das Steuerrecht, das Erwerbstätige mit Kindern benachteiligt. Auch Voigt hat darunter gelitten. Bei ihr haben die schlechtere Bezahlung als Frau, tarifliche Einstufungen unter ihrer Qualifikation und die mangelnde Einbeziehung der Kinderzeit in die Rentenberechnung zu einer geringeren Rente geführt, als sie erwartet hatte.
Dass sie für etwas mehr Rente länger an der Klinik arbeitet, war gesetzlich verboten. Im Bundestag gibt es immer wieder Initiativen, das Renteneintrittsalter flexibler zu gestalten, aber die Frage bleibt bis dato offen, so Horstpeter Kreppel.
Auch die EU beschäftigt sich mit Altersarmut. Es gibt noch keine Gesetzesinitiativen, die sich direkt auf das Problem beziehen. Allerdings gilt die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie als Versuch, die Ursachen der Altersarmut wie beispielsweise Altersdiskriminierung zu bekämpfen. „Diese Richtlinie wurde bisher nur unvollkommen ins deutsche Recht umgesetzt“, erklärt Horstpeter Kreppel. Es gebe in Deutschland noch viele unzulässige Regelungen, die tarifvertragliche Leistungen vom Alter abhängig machen.
Elena Voigt war viele Jahre selbstständig. Während ihrer Elternzeit fand sie das „genial“. Jetzt wird ihr das zum Verhängnis. In der Gewerkschaft hatte sie dafür gekämpft, als Freiberuflerin besser zu verdienen. Dafür bekam sie eine feste Anstellung, aber nur minimal mehr Gehalt. Elena Voigt versteht ihre geleistete Arbeit als einen wichtigen Dienst für die Gesellschaft. Auch von Mitarbeitern und ihren Betreuten erfuhr sie viel Anerkennung. „Aber von der Wertschätzung kann ich meine Miete nicht zahlen.“ Sie spricht mit Groll und Verbitterung: „Hätte die Klinik mich als Psychotherapeutin eingestuft, wäre ich nicht in so einer Misere.“
Elena Voigt hat noch viel vor: Sie möchte ein Buch schreiben, sich ehrenamtlich engagieren und sich um die Enkelkinder kümmern. Die Zeit dafür hat sie, nur fehlt ihr das nötige Geld. Wenn sie mit ihren Enkelkindern Eis essen geht, müssen das ihre Kinder bezahlen.
MARISA WENZEL
ANNA WŁADYKA