: Dröger Höhenflug
EFFIZIENZ Hannover 96 spielt seit Wochen Fußball zum Abgewöhnen, ist damit aber enorm erfolgreich
96-TRAINER TAYFUN KORKUT
Dem glücklichen Heimsieg folgten kritische Worte und viele Rechenspiele. „Wir sollen hier ja eine Krise haben. Aber wir haben 16 Punkte und stehen auf Tabellenplatz 6“, sagte Christian Schulz nach dem 1:0 (0:0) gegen Eintracht Frankfurt. Das süffisante Grinsen, das der Kapitän von Hannover 96 aufsetzte, ließ auf eine große Genugtuung schließen. Schulz und Co. spielen seit Wochen nicht besonders ansehnlich, stehen aber glänzend da. Sie haben in zehn Punktspielen nur sieben Tore geschossen und gehören dennoch zu den besten Teams der Fußball-Bundesliga. Ist das also Glück oder Können? „Das Glück muss man auch suchen“, findet 96-Trainer Tayfun Korkut.
Wie geht das also – relativ schlecht spielen und doch systematisch gewinnen? Das Erfolgserlebnis gegen Frankfurt war erst kurz vor Spielende möglich geworden, weil dem Gästespieler Alexander Madlung ein Eigentor unterlaufen war. Aber: Ein solcher Fauxpas will eben auch erzwungen werden. Eine Flanke des Japaners Hiroshi Kiyotake und ein wuchtiger Kopfball des Brasilianers Marcelo waren die hannoverschen Zutaten zu Madlungs Missgeschick.
Kurz nach dem 0:1 und dem Schlusspfiff sah man ein Knäuel aus 96-Profis glücklich über den Rasen hüpfen. Die Freude über das späte Tor übertünchte eine mittelmäßige Partie vor 42.200 Zuschauern. Das Team von Hannover 96 ist fleißig, spielt diszipliniert und findet doch keine neuen Freunde. Auf dem Nachhauseweg grübelten selbst die treuesten der treuen Fans, wie es eigentlich möglich ist, mit so wenig ansehnlichem Fußball so viele Punkte einzusammeln.
Eigentlich ist das Genörgel an den Auftritten der Niedersachsen furchtbar ungerecht. Korkut versucht als jener Cheftrainer, der den lange Zeit beliebten und am Ende erfolglosen Mirko Slomka abgelöst hat, einen erstaunlichen Umbruch. Zehn Neuzugänge so in ein Team zu integrieren, dass nach zehn Spieltagen schon alles perfekt passt, ist eine Herkules-Aufgabe. Wenn dann auch noch mehrere Stammspieler wie Lars Stindl, Leon Andreasen und der gerade erst genesene Edgar Prib lange Zeit ausfallen, macht das die Sache auch nicht einfacher. Unterm Strich wird es also immer erstaunlicher, wie weit diese runderneuerte Mannschaft von der düsteren Region in der Tabelle entfernt ist.
Bei Borussia Dortmund haben sie zuletzt gewonnen. Im DFB-Pokal bei Zweitligist Aalen setzte es eine peinliche Niederlage. Aus diesem Auf und Ab lässt sich nur bedingt ableiten, wozu Hannover 96 in dieser Saison fähig ist. „Wichtig ist: Die Mannschaft antwortet auf Rückschläge“, findet Korkut, dessen zurückhaltende Art nicht überall gut ankommt. Ihm fehlt der Hang zur Selbstdarstellung, der bei Slomka besonders ausgeprägt war. Korkut verzichtete auch nach dem Erfolg über Frankfurt darauf, den einen oder anderen 96-Spieler detailliert zu loben. „Das mache ich nicht. Ich lobe die gesamte Mannschaft, auch wenn das vielleicht ein bisschen langweilig ist“, sagte der 40-Jährige. Er tritt auf wie ein pedantischer Arbeiter im bezahlten Fußball. Der Außenwirkung von Hannover 96 schadet das. Aber der Verein dürfte selten mit so viel Langeweile derartig erfolgreich gewesen sein.
CHRISTIAN OTTO