: Die politische Stimmung stärkt nur die Rechtsradikalen
UNGARN Erstmals gewinnt die Jobbik-Partei ein Direktmandat. Faschisten damit drittstärkste Kraft
WIEN taz | Knapp, aber doch: Die faschistische Jobbik-Partei hat in Ungarn ihr erstes Direktmandat für das Parlament erobert. In einer Nachwahl im Wahlkreis Tapolca, südwestlich von Budapest, setzte sich am Sonntag mit Lajos Rig der Kandidat der rechtsextremen Jobbik durch. Nach Auszählung von 99,13 Prozent der Stimmen lag er 161 Stimmen vor Zoltán Fenyvesi von der regierenden Fidesz. Dank der Wahlrechtsreform von Fidesz reicht die einfache Mehrheit, in diesem Fall 35,3 Prozent, für die Entscheidung über einen Parlamentssitz. Noch vor Auszählungen der Briefwahlstimmen, die nur theoretisch noch das Resultat umstoßen könnten, gratulierte Fidesz dem Sieger.
Jobbik-Chef Gábor Vona feierte das Ergebnis als persönlichen Sieg über Premier Viktor Orbán: „Nix Viktor Orbán, nix Fidesz!“ Erstmals habe sich eine Partei durchgesetzt, die nicht an der „unterschlagenen Systemwende“ beteiligt war. Jobbik hatte bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr mit 20 Prozent der Stimmen 12 Mandate eingefahren. Damit stellen die Faschisten die drittstärkste Fraktion. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr verliert das Regierungslager bei einer Nachwahl. Im Februar verlor Orbán das entscheidende Mandat, das die parlamentarische Zweidrittelmehrheit ausmachte. Damals an einen Vertreter der vereinigten Linken.
Die Niederlage des offiziellen Kandidaten hat unzweifelhaft weniger mit der Strahlkraft des Jobbik-Mannes, als mit dem rapiden Popularitätsverlust der Regierung zu tun. Wählerforscher konstatieren, dass ein Drittel der Fidesz-Wähler einfach zu Hause geblieben sei. Ein weiteres Drittel sei zu Jobbik übergelaufen. Jobbik steuert einen ähnlich nationalistischen Kurs, nur weit radikaler. Fidesz ist in den vergangenen Wochen vor allem durch Skandale, schamlosen Nepotismus und unpopuläre Maßnahmen wie das Verbot der Sonntagsöffnung für Geschäfte aufgefallen. Besonders geschadet hat Fidesz der Kollaps des Brokerhauses Quaestor, dessen Chef der Regierung nahestand und Einlagen in dreistelliger Millionenhöhe mehrerer Ministerien verwaltet hatte. Wann und mit welchen Insiderinformationen Orbán den Rückzug dieser Gelder verfügt hat, ist Gegenstand von heftigen Debatten, die die Regierung in keinem guten Licht dastehen lassen. Die oppositionellen Sozialisten, die selbst in einen Finanzskandal verwickelt sind, können aus der Regierungskrise kaum Profit schlagen. Ungarn wandert weiter nach rechts.
RALF LEONHARD