: Das Dilemma der Fair-Trade-Bewegung
Projekt gegen das Handelssystem oder Kampagnen für eine erfolgreiche Doha-Runde: Teil 2 der taz-Serie
„Eine andere Welt ist möglich“, behaupten soziale Bewegungen seit Jahren. Doch welche gesellschaftlichen Alternativen existieren tatsächlich? Antworten gibt das „Abc der Alternativen“: In diesem Buch, das der VSA-Verlag in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der taz und dem wissenschaftlichen Beirat von Attac herausgibt, stellen 133 Autorinnen und Autoren einzelne Stichworte vor – von „Ästhetik des Widerstands“ bis „Ziviler Ungehorsam“. In ihrer Serie dokumentiert die taz einzelne, leicht gekürzte Texte. Das „Abc der Alternativen“ ist für 12 Euro im taz-Shop und im Buchhandel erhältlich.
Der Ansatz von Fair Trade beruht auf der Annahme, dass ungerechte Handelsbeziehungen eine wesentliche Ursache von Unterentwicklung sind. Die Verschlechterung der Terms of Trade, bei der Entwicklungsländer für ihre Primärgüter – Rohstoffe wie Kaffee – immer weniger an verarbeiteten Produkten aus den Industrieländern bekommen, führt demnach dazu, dass sie immer ärmer werden. Bildhaft gesprochen heißt das beispielsweise, dass ein Kaffeebauer 1980 vier Kilo, 2002 aber zehn Kilo Kaffee verkaufen musste, um ein Schweizer Taschenmesser kaufen zu können.
Das Machtgefälle innerhalb der Vertriebsketten kommt durch die Dominanz von wenigen Handelshäusern in den Industrieländern zustande und führt dazu, dass die kleinbäuerlichen ProduzentInnen oder die PlantagenarbeiterInnen einen sehr geringen Anteil des Verkaufspreises erhalten. Initiativen für gerechten Handel entstanden Anfang der 1970er-Jahre im Rahmen der Solidaritätsbewegungen mit der „Dritten Welt“.
Hunderte von Gruppen nahmen direkte Handelsbeziehungen mit lokalen Gruppen auf, um deren Produkte dann in Welt-Läden zu verkaufen. Durch Ausschaltung der großen Handelsketten und über Solidaritätspreise sollten die ProduzentInnen eine „gerechte“ Entlohnung erhalten und dadurch in die Lage versetzt werden, sich selbst zu „entwickeln“. Dominierten zunächst Handwerksprodukte, wurden mit der Entstehung professioneller Vertriebsnetze wie der Gepa Nahrungsmittel wichtig. Die Fair-Trade-Bewegung war bewusst politisch ausgerichtet: Das Trinken des Kaffees aus Nicaragua drückte eine antiimperialistische Grundhaltung aus.
Fairer Handel hat mittlerweile, gemessen an Umsatz und Anzahl der Beteiligten, einen Siegeszug angetreten. Um die 800 Welt-Läden verkaufen Fair-Trade-Produkte in Deutschland, der europaweite Umsatz hat sich in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht. Der Boom ist vor allem auf die Entwicklung von Gütesiegeln zurückzuführen: Fair-Trade-Kaffee bieten bundesweit 27.000 Supermärkte an.
Doch gerade das Erfolgsprodukt Kaffee zeigt auch klare Grenzen auf: Trotz seines Einzugs in die Supermärkte hat fair gehandelter Kaffee nur einen Marktanteil von 1,2 Prozent in Europa. An den grundlegenden Abhängigkeiten hat sich nichts geändert: So verloren in den vergangenen Jahren hunderttausende von KaffeebäuerInnen ihre Existenz, weil durch eine Überproduktion durch zusätzliche Anbieter, vor allem aus Vietnam, und die Macht der Kaffeekonzerne die Preise für die ProduzentInnen auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren sanken.
Eine Antwort auf das Nischenproblem sucht die Fair-Trade-Bewegung in Kampagnen für eine faire Handelsarchitektur, die insbesondere in der „Make Trade Fair“-Kampagne von Oxfam zum Ausdruck kommt. Nach der Maxime „Trade Not Aid“ setzt sich Oxfam für eine erfolgreiche Doha-Runde der WTO ein, bei der ein gerechter Marktzugang zu den Agrarmärkten des Nordens „Millionen aus der Armut heben“ sollte. Die Kampagne löste heftige Debatten aus. Globalisierungskritiker Walden Bello warf Oxfam vor, die Handelsliberalisierungs-Agenda der WTO zu akzeptieren und einem exportorientierten Entwicklungsmodell anzuhängen, das den KleinbäuerInnen eher schadet.
Das Dilemma der Fair-Trade-Bewegung wird in der Zusammenarbeit von Transfair und dem Lidl-Konzern deutlich. Zwar werden so mehr Fair-Trade-Produkte verkauft, die Initiative legitimiert aber gleichzeitig einen Protagonisten der kapitalistischen Globalisierung und zementiert somit strukturelle Ausbeutung im Welthandelssystem.
Statt die Fair-Trade-Bewegung zu einer Lifestyle- und Konsumentscheidung von Besserverdienenden zu entpolitisieren, brauchen wir eine Rückbesinnung auf die emanzipatorische Sprengkraft, die im konkreten Projekt den Schrei gegen ein menschenverachtendes Handelssystem mit der Vision einer menschenwürdigen Alternative verband. OLIVER PYE