„Die Richter sind weder lasch noch lau“

Gerhard Schaberg, Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins, übt Kritik an der Hamburger Justizbehörde. Er plädiert gegen ein härteres Jugendstrafrecht und die Instrumentalisierung der Jugendgewalt im Wahlkampf

GERHARD SCHABERG, 63, leitete am Hamburger Landgericht den Jessica-Prozess und führt den Hamburgischen Richterverein.

taz: Herr Schaberg, brauchen wir härtere Jugendstrafen?

Gerhard Schaberg: Nein, das Jugendstrafrecht hat sich über Jahrzehnte bewährt. Die Diskussion ist überflüssig.

Können härtere Strafen die Gewalt verhindern?

Sie können potenzielle Täter nur dann von Straftaten abhalten, wenn diese die mögliche Bestrafung vor der Tat reflektieren. Das ist bei in der Regel spontan handelnden jugendlichen Gewalttätern nicht der Fall.

Viele Politiker fordern die Gerichte auf, Jungerwachsene zwischen 18 und 21 Jahren im Regelfall nach dem Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.

Die Politiker sollten sich zurückhalten und lernen, die Unabhängigkeit der Gerichte zu respektieren. Richter haben nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Die Beeinflussung junger Täter, zu einem straffreien Leben zu finden, ist in der Regel mit den differenzierten Möglichkeiten des Jugendstrafrechts besser zu erreichen. Das schließt nicht aus, Heranwachsende bei entsprechendem Reifestadium nach Erwachsenenrecht zu bestrafen. Dies geschieht täglich.

Ist die Jugendgewalt real angestiegen oder erleben wir hier ein Wahlkampfphänomen?

Generell ist die Jugendkriminalität nicht angestiegen. Insbesondere die Gewaltdelikte haben aber zugenommen und die Qualität der Gewalt hat sich verändert. Schneller und rücksichtsloser wird zugeschlagen und von verschiedensten Waffen Gebrauch gemacht. Zu beklagen ist allerdings, dass Taten, die besonders spektakulär sind, herausgegriffen werden, um sie im Wahlkampf zu benutzen.

Was ist nötig, um die Rückfallquoten zu senken?

Es muss gewährleistet sein, dass erfahrenes und ausreichendes Personal vorhanden ist, um auf Straftäter einzuwirken, in Zukunft keine Straftaten mehr zu begehen. Man sollte aber nicht sozialromantisch die Augen davor verschließen, dass es Täter gibt, die nicht zu beeinflussen sind. Deren Taten sind auch mit langen Freiheitsstrafen zu ahnden. Dies geschieht täglich in den Gerichten. Die Richter sind weder lasch noch lau.

Neben härteren Strafen wird vor allem über zeitnahere Gerichtsverfahren diskutiert.

In Hamburg werden die weitaus meisten Straftaten innerhalb von neun Monaten nach der Tat rechtskräftig abgeurteilt. Wenn man eine noch schnellere Erledigung will, muss die Politik mehr Richterstellen bewilligen. In den letzten Jahren wurden Richterstellen insbesondere beim Landgericht gestrichen.

Hamburgs Justizbehörde hat jahrelang falsche Zahlen über die Verurteilungen Jugendlicher publiziert. Hätte dieser Fehler nicht jedem Fachmann sofort auffallen müssen?

Sicher hätte er auffallen können. Kriminalstatistiken sind aber offenbar nur für Kriminologen von Interesse. Weder die Politik noch die Presse hat die Statistiken so intensiv gelesen, dass der Fehler bemerkt worden wäre.

Was wünschen Sie sich für die zukünftige Debatte über den Umgang mit Jugendgewalt?

Sachlichkeit, um im Sinne eines wirksamen Opferschutzes zu tragfähigen, von einer breiten Mehrheit getragenen Lösungen zu kommen.

INTERVIEW: MARCO CARINI