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Archiv-Artikel

„Ist das noch Arbeit?“

Im Grunde rechnet sich die Produktion aufwendiger Alben wie „Popo“ von Die Türen für eine kleine Plattenfirma wie Staatsakt nicht mehr. Ein Gespräch darüber, warum man sie trotzdem macht

INTERVIEW THOMAS WINKLER

Es ist so: Kunst ernährt den Künstler nur in den seltensten Fällen. Oder, wie es Die Türen singen: „Wenn der Sport der Bruder der Arbeit ist, dann ist die Kunst die Cousine der Arbeitslosigkeit.“ „Popo“, das dritte Album der Berliner Band, stellt konsequent die eigenen Produktionsbedingungen in den Mittelpunkt. Dort steht, so Maurice Summen, „das Spannungsverhältnis zwischen den zentralen Lebensbereichen Arbeit und Freizeit“. Die vermischen sich bei Summen (33) und Gitarrist Gunter Osburg (33): Sie betreiben noch das Label Staatsakt, wo von Americana über Prollrock bis Electronica Verschiedenstes erscheint, auch das erste Soloalbum von Die-Sterne-Sänger Frank Spilker wird dort bald herauskommen. Wie prekär selbstbestimmtes Dasein als Musikant sein kann, illustriert Bassist Ramin Bijan (35): Zum Interview ist er wegen „einer kleinen Schicht im Callcenter“ verhindert.

taz: Euer neues Album heißt „Popo“. Liest sich das Pop O oder P-O-P-O?

Maurice Summen: Einfach Popo.

Warum „Popo“?

Gunter Osburg: Es sollte was Knackiges sein. Außerdem ist diese Platte ernster als die ersten beiden, da konnte sie so einen Titel vertragen, der als Gag verstanden wird.

Ernsthaftigkeit schien bislang nicht eure hervorstechendste Eigenschaft.

Summen: Das ist ein Problem. Mittlerweile werden wir als Gute-Laune-Band wahrgenommen. Natürlich sind wir auch eine Gute-Laune-Band, aber selbst uns begegnen im Alltag nicht nur Clowns und Teddybären. Aber ich glaube, wir stecken noch nicht in der Humorfalle fest. Der Humor ist unsere Stärke, nicht unser Verderben. Wir sind nicht die neuen Ärzte.

Das Ernste, das „Popo“ dominiert, ist der Themenkomplex Arbeit.

Summen: Ja, man kann von einem Konzeptalbum sprechen! Das ist bislang übrigens die am häufigsten gestellte Frage: Ist das ein Konzeptalbum?

Osburg: Aber das war nicht Konzept. Das hat sich so ergeben, dass es bei drei Vierteln der Songs um Arbeit geht. Der Rest ist Umfeldanalyse.

Wenn es sich so ergeben hat: Warum hat es sich ergeben?

Summen: Die Angstmaschinerie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist ein Dauerbrenner. Das Versprechen der Vollbeschäftigung für alle ist doch nur insgeheim vom Tisch. Die Statistiken des Bundesamtes für Arbeit sind das Stimmungsbarometer dieses Landes, einflussreicher als die Bundesligatabelle. Diese Sachen sieht man dann im Kontrast zu den eigenen Lebensmodellen.

Osburg: Wir als Plattenfirmenbesitzer stecken viel Arbeit in das Label, aber da kommt in keinem Verhältnis Lohn raus. Wenn man Arbeit als klassische Lohnarbeit definiert, dann müsste man sich zugestehen, dass man seine Zeit verschwendet. Aber für mich ist das extrem sinnstiftende Arbeit, auch wenn es dafür kein Geld gibt.

Summen: Diese Band andererseits ist ein Unternehmen, steuerrechtlich eine GbR.

Um mal marktwirtschaftlich zu sprechen: Wo ist der Break-even-Point der neuen Platte?

Osburg: Wir müssen ungefähr 1.300 Stück verkaufen, um alle Kosten wieder reinzuholen. Aber da ist unsere Arbeitszeit als Band oder fürs Label nicht drin.

Summen: Freizeit und Arbeit sind zwei Begriffe, die in einem komischen Schwebezustand sind. Deren Definitionen können nicht mehr beide für sich allein stehen, sondern bedingen sich kontinuierlich. Wenn man sich mal die Lebensentwürfe aus dem Bekanntenkreis ansieht: Die Designer, bildenden Künstler, Musiker, die kriegen das ja nur hin, weil sie nebenbei noch kellnern oder in einem Callcenter arbeiten. Wie ist das bei mir? Wenn ich Musik schreibe, dafür aber kein Geld kriege, ist das keine Arbeit? Wenn ich dann mit diesen Liedern auf der Bühne stehe und ein bisschen Geld reinkommt, ist es dann doch wieder Arbeit, weil ich eine Gage bekomme für das Freizeitprodukt? Wie kann es zu diesem komischen Perspektivwechsel kommen?

Ihr seid also Freunde des Grundeinkommens?

Summen: Ja, sicher. Ich glaube auch nicht, dass die Produktivität nachlässt, wenn man den Leuten die Gelegenheit bietet, für ein bisschen Luxus eine Karriere anzustreben. Man muss ja auch irgendwie seine Zeit rumkriegen.

Osburg: Deswegen machen wir ja das, was wir machen. Weil wir gemerkt haben, dass wir in den klassischen Arbeitsfeldern dieser Gesellschaft nicht finden, was wir eigentlich vorhaben. Es gibt viele, die machen das freiwillig. Aber weil es nicht mehr so viel Arbeit gibt wie früher, sind solche Lebensentwürfe für viele Leute auch zur Notwendigkeit geworden. Die hätten aber eigentlich lieber eine Festanstellung.

Summen: Der ganze Praktikantenwahnsinn, die Prekariatsdiskussion, diese Ausbeutungskultur haben ja nichts mit Freiheit zu tun.

Osburg: Das hat immer einen Beigeschmack der Nichtteilhabe.

Manche Texte eurer Platte adaptieren exakt diesen DGB-Sound, der den Abschied von dieser klassischen Erwerbsbiografie beklagt. „Die Welt ist schlecht, allein von Arbeit kann man nicht leben“, heißt es in „Ehrliche Arbeit“.

Osburg: Klar, das ist dieses Lamentieren. Aber man kann der Welt nicht vorwerfen, dass man von seiner Arbeit nicht leben kann. Dann muss man sich halt ein anderes Leben suchen. Man kann von sehr wenig Geld leben, wenn man das, was man macht, als erfüllend betrachtet. Weil man die Belohnung durch Geld nicht mehr braucht.

Aber schön wär’s, oder?

Osburg: Man muss ehrlich sein: Wenn man ein Label als Wirtschaftsunternehmen sieht, dann macht es keinen Sinn mehr, sich die Zeit mit einem Label zu vertreiben wie wir. Es macht nur Sinn, wenn man sich selber herausbringt und das noch als schlecht bezahlten Freundschaftsdienst sieht. Man muss daran Gefallen finden, eine kulturelle Mehrwertleistung zu erbringen. Ökonomisch betrachtet, hätten wir Staatsakt schon längst auflösen müssen. Es stand auch schon länger im Raum, ob „Popo“ die letzte Platte auf Staatsakt sein wird.

Summen: Gefühlt ist es für mich als Künstler auf jeden Fall die letzte CD-Veröffentlichung. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass das Format überflüssig ist. Zu unserer nächsten Platte wird die Vermarktung von Musik ganz anders aussehen.

Osburg: Staatsakt kann man nur noch als Kulturplattform rechtfertigen.

Wie geht es weiter?

Osburg: Ich sehe kein tragfähiges Zukunftsmodell für uns. Es deuten sich Verbesserungen an, die uns persönlich aber sehr unsympathisch sind: Firmenkooperationen wie die Jägermeister-Liga. Der Gedanke der Unabhängigkeit ist uns sehr wichtig.

Summen: Die Hoffnung ist da. Nur weil das alte Geschäftsmodell gerade zusammenbricht, heißt es ja nicht, dass kein neues denkbar ist. Es entstehen so viele neue Medien, und kein Medium kommt ohne content klar, und Musik ist immer so ein Inhalt. Es wird gesamtgesellschaftlich immer genug da sein, um den Musiker zu bezahlen – die Frage ist nur, wie es verteilt wird.

„Popo“ stellt diese Verteilungsfrage schon jetzt. Sind Die Türen eine politische Band?

Osburg: Wir sind insofern politisch, als wir uns Gedanken machen über Politik in einem klassischen griechischen Sinne, Gedanken über Gemeinschaft, über die Gesellschaft, in der wir leben. Wir sind keine ideologische Band. Es geht darum, sich mit Realitäten auseinanderzusetzen, die einen umgeben – zu welchem Ergebnis man auch immer kommt.

Du hast mal Philosophie studiert?

Osburg: Stimmt.

Auch abgeschlossen?

Osburg: Oh ja. Ich bin amtlicher Philosoph. Und Politologe und Publizist sogar.

Summen: Ich habe in Plattenläden gejobbt. Das war auch amtlich.

Wenn Die Türen eine politische Band sind: Kann man mit politischer Musik politisch etwas erreichen?

Summen: Als Gefühlsverstärker funktioniert Musik auf jeden Fall. Schlussendlich ist dann doch der Klang wichtiger als der Inhalt. Musik hat immer noch revolutionäre Sprengkraft. Man wird auch noch in 50 Jahren Kids mit Jimi Hendrix’ „Fire“ schocken können. Nur: Musik ist inzwischen so wahnsinnig verbreitet, jeder Trötenhersteller braucht heute einen Soundtrack zu seinem Produkt.

Osburg: Wir haben aber auch einen Anspruch. Den bringt man weniger mit dem Texten oder der Musik rüber, sondern eher, indem man ein Beispiel gibt. Man stellt sich mit seinem Leben hin und sagt: So geht es auch. Wenn ich es religiös betrachten wollte: Es geht darum, Zeugnis abzulegen. Die Musik und textliche Bearbeitung dieses Alltags sind davon ein Teil. Man muss das mit seinem Leben füllen.