: Rammen macht den Schweinswal taub
Ein Forschungsprojekt zur Verträglichkeit von Tierwelt und Offshore-Windkraft ergibt, dass viele geplante Windparks dort liegen, wo sich Vögel und Kleine Tümmler konzentrieren. Und wie wenig Lärm bereits das Gehör der Meeressäuger schädigt
VON GERNOT KNÖDLER
Viele bereits genehmigte Windparks auf hoher See liegen dort, wo sich besonders viele Vögel und Schweinswale tummeln. Das ist im Rahmen der Langzeitstudie „Marine Warmblüter in Nord- und Ostsee“ (Minos) ermittelt worden, deren Ergebnisse jetzt bei einer Abschlusstagung in Hamburg vorgestellt wurden. Dabei haben Wissenschaftler erstmals ermittelt, ab welcher Lärmintensität das Gehör der Schweinswale oder „Kleinen Tümmler“ geschädigt wird, wodurch diese Tiere sozusagen „blind“ werden. Der Wert liegt niedriger als ein einschlägiger Lärmgrenzwert des Umweltbundesamtes und dürfte Änderungen beim Bau der Windparks zur Folge haben.
„Die Auswirkungen von Windparks auf die untersuchten Tierarten würden eine zusätzliche Beeinträchtigung zu den bereits bestehenden Störungen darstellen“, schreibt die Verwaltung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, die das Minos-Projekt koordiniert hat. Betrieb und Bau der Windparks könnten die kleinen Wale aus ihren Nahrungs- und Aufzuchtgebieten vertreiben oder ihren Gesundheitszustand verschlechtern. Seetaucher und Meeresenten seien vor allem durch den großflächigen Verlust ihrer Rast- und Nahrungsgebiete gefährdet.
„Wir Menschen sehen vor allem, die Schweinswale hören vor allem“, sagt Klaus Lucke vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Universität Kiel (FTZ). Lucke hat untersucht, ab welcher Lautstärke bei den Walen der so genannte Disco-Effekt auftritt, das Gehör also vorübergehend taub wird. „Beim Schweinswal kann man zum ersten Mal sagen: Alles, was lauter als 200 Dezibel ist, wird dessen Gehör wahrscheinlich schädigen“, sagt der Forscher. Dieser Wert entspreche an Land einem Schalldruck von 160 Dezibel. Ein China-Kracher, der in einem Meter Entfernung explodiere, sei zwischen 120 und 140 Dezibel laut, führt Lucke aus.
Die Fundamente der Offshore-Windkraftanlagen werden 30 Meter tief in den Boden gerammt, damit die Anlagen Stürmen und hohem Seegang trotzen können. Dafür sind Lucke zufolge mehr als 1.000 Rammstöße mit einer Lautstärke von 225 bis 243 Dezibel nötig, sagt Lucke. Die Schweinswale schwämmen zwar weg, müssten die ersten Schläge aber einstecken. Welchen Effekt mehrere gleichzeitige Rammstöße hätten, müsse noch erforscht werden, sagt Lucke. Er vermutet, dass sich deren Wirkung zum Teil addiert.
Angesichts dieser Erkenntnisse erscheint es unglücklich, dass einige der bereits genehmigten Windparks ausgerechnet dort liegen, wo die größten Ansammlungen von Schweinswalen gesichtet wurden. Anita Gilles vom FTZ und ihre Kollegen zählten zwischen 2002 und 2006 vom Flugzeug aus die Wale in den Meeresgebieten, die von Deutschland genutzt werden dürfen. Die meisten Wale zeigten sich ihnen am Sylter Außenriff 130 Kilometer südwestlich von Sylt und Amrum, sowie im Gebiet „Borkum Riffgrund“. Vor Borkum liegt auch Deutschlands Offshore-Testfeld, auf dem noch in diesem Jahr Deutschlands erster kleiner Windpark auf See ans Netz gehen soll.
Die Tiere verhalten sich von Jahreszeit zu Jahreszeit sehr unterschiedlich, wie die Forscher beobachtet haben. „Die Schweinswale verlassen unsere Gewässer im Herbst“, sagt Gilles. Hätten sich im Sommer bis zu 50.000 der Kleinen Tümmler in der Nordsee aufgehalten, seien es im Winter noch 11.000 gewesen. Im Frühling konzentrierten sich die Tiere sowohl über dem Borkumer Riffgrund als auch am Sylter Außenriff, im Sommer vor allem im Norden. Möglicherweise folgten die Zahnwale ihrer Beute in tiefere Gewässer, sagt Gilles. Das sei eine Hypothese, die aber erst noch belegt werden müsse. In der Ostsee halten sich über das ganze Jahr hinweg etwa 3.000 Schweinswale auf.
Um den Tieren nicht zu schaden, sollte sämtlicher Impulslärm auf 200 Dezibel begrenzt werden, schlägt Lucke vor. Das müsse auch für seismische Messungen gelten. Beim Bau der Windparks sollten Techniken entwickelt werden, die den Lärm in Grenzen halten. Andernfalls müsse dafür gesorgt werden, dass sich in einem bestimmten Radius um die Baustelle kein Schweinswal aufhalte.
Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das über die Zulassung von Offshore-Windparks entscheidet, verweist darauf, dass in den erteilten Genehmigungen stets die Verpflichtung fixiert worden sei, nach dem Stand der Technik zu bauen. Das gelte für Planung, Bau und Betrieb der Windparks. „Wir können uns nur wünschen, dass bei dem Testfeld, das in diesem Jahr in Betrieb gehen soll, die neuesten Methoden zum Einsatz kommen“, sagt BSH-Sprecherin Gudrun Wiebe. Schon bei den bisherigen Planungsverfahren sei auf die Tierwelt Rücksicht genommen worden. Die Anträge für zwei Windparks in der Ostsee seien abgelehnt worden, weil sie den Vogelzug gestört hätten, sagt Wiebe. Die wissenschaftliche Diskussion werde von den Mitarbeitern des BSH aufmerksam verfolgt.
Erst am 21. Dezember hat das BSH den 20. Windpark in Deutschlands Ausschließlicher Wirtschaftszone in Nord- und Ostsee genehmigt. Diese schließt sich an die Zwölf-Seemeilen-Zone direkt vor der Küste an. Mit der Genehmigung kann die EOS Offshore AG aus Varel 85 Kilometer nördlich der Insel Borkum 80 Windenergieanlagen errichten. Das Vorhaben „Hochsee Windpark He dreiht“ ist eines von 17 genehmigten Projekten in der Nordsee, drei weitere sind in der Ostsee genehmigt. Gegenwärtig laufen die Planungen für insgesamt 47 Vorhaben: 40 in der Nord- und sieben in der Ostsee.