Niederlage im Kompetenzgerangel

Drei Bücher über deutsche Generäle zeigen, warum die einst so elitäre Wehrmacht sich schon bald von den Nationalsozialisten unter Kontrolle bringen ließ – und erst viel zu spät Widerstand leistete. Der Krieg spielte dabei eine erstaunlich geringe Rolle

Geschichtspolitik ist das wichtigste Wort in der Biografie von Hindenburg

VON JÜRGEN BUSCHE

Die deutschen Generale im 20. Jahrhundert sind eine Geschichte für sich. Winston Churchill, der als Politiker an zwei Weltkriegen beteiligt war, hielt sie für besser als die englischen. Und dennoch haben die Engländer beide Kriege gewonnen. Man kann sich leicht vorstellen, dass Churchill dies auf die Überlegenheit der englischen Politik zurückführte. Darin sind ihm die deutschen Militärs gern gefolgt. Sprichwörtlich für diese Haltung ist der Titel der Memoiren geworden, die der bedeutendste Feldmarschall Hitlers, Erich von Manstein, geschrieben hat: „Verlorene Siege“.

Nun sind zuletzt in Deutschland drei Bücher erschienen, die sich hauptsächlich mit dem Tun und Lassen höchstrangiger Offiziere in der Zeit zwischen den Kriegen befassen. Es geht um Paul von Hindenburg, der 1925 Reichspräsident wurde, Kurt von Hammerstein-Equord, den letzten Chef der Heeresleitung in der Weimarer Republik, und Ludwig Beck, den glücklosen Generalstabschef des Heeres in den ersten Jahren der Nazidiktatur. Obwohl er sich schon 1938 aus dem Militärdienst verabschiedet hatte, wurde er 1944 einer der wichtigsten Männer des 20. Juli. Nach dem Scheitern des Aufstands gab er sich selbst den Tod.

In mancher Hinsicht sind die Bücher unvergleichbar: Über Hammerstein hat Hans Magnus Enzensberger eine intelligente Collage aus unterschiedlichen Darstellungstechniken verfasst, bei der es in weiten Teilen auch um seine kommunistisch verstrickten Töchter geht. An Hindenburg interessiert Wolfram Pyta vor allem der Politiker, der um die Sicherung des Ruhms besorgt ist, den er als Sieger in der Tannenbergschlacht (1914) erworben hat. Das Buch von Klaus-Jürgen Müller über Ludwig Beck, das nach Forschungsleistung und Darstellungskompetenz das beste unter den dreien ist, widmet sich dem Bild eines eher untypischen preußischen Offiziers aus Hessen-Nassau, einer Familie von Generalen, Bildungsbürgern und Unternehmern entstammend, der militärischer Fachmann und Gewissensmensch auf hohem Reflexionsniveau zugleich war.

Aber alle drei Bücher geben Einblick in die Strukturbedingungen des preußisch-deutschen Militärs und lassen erkennen, weshalb diese qualitativ so überragende Institution gegenüber den Nationalsozialisten versagte. Tatsächlich, und dies wird am detailliertesten bei Müller beschrieben, brach die Wehrmacht als fester Block, in den die Nazis nicht eindringen konnten, schon bald nach 1933 auseinander – und dies nicht aufgrund von Charakterschwäche oder Verführbarkeit Einzelner oder großer Gruppen, sondern infolge einer qualitätsorientierten Besonderheit bei den „Preußen“, die auf ihre Weise das Wort von Max Weber bezeugt, das gute Ideen an ihrer Übertreibung zugrunde gehen: Der Denker wird dem Haudegen vorgezogen.

Ernst Jünger notierte nach dem Krieg, wie da die Herren aus den Stäben in der Etappe, wo es komfortabel zuging, bei der Heimkehr sofort die hohen Führungspositionen beanspruchten und die hoch dekorierten Frontsoldaten mit einem geradezu magischen Hass betrachteten und im dienstlichen Vorankommen behinderten. Jünger verließ die Reichswehr. Erwin Rommel, ebenfalls mit dem Pour le Mérite ausgezeichnet, hatte den Krieg als Hauptmann beendet und blieb das zwölf Jahre.

Derweil wurden Beck und Hammerstein, die sich kaum jemals auch nur die Stiefel schmutzig gemacht hatten, befördert wie Wunderkinder. Hier funktionierten Seilschaften, die schon früh die bewaffnete Macht in zwei Lager spalteten. Als mit Hitlers Diktatur und dem Umbau des 100.000-Mann-Heeres der Republik zur Millionenstreitmacht auch die bis dahin Zurückgesetzten wie Erwin Rommel in höhere Ränge kamen, war es mit der Solidarität auf höchsten Führungsebenen vorbei und Hitler konnte die Herren gegeneinander ausspielen.

Enzensberger und Müller zeigen gut, wie die alte Elite sich unermüdlich mit Hinweisen auf ihre Intelligenz hochlobte – bei Hammerstein wurde aus seiner fast schon provozierenden Faulheit ein Kult gemacht: Er hatte es nicht nötig, fleißig zu sein. Es war wie unter Juristen in der Verwaltung, die sich stets untereinander ihre hohe Intelligenz bestätigen, da Zeugnisse ihrer Effizienz unsichtbar sind.

Über all dem agierte Hindenburg, auf den sich jeder Soldat berufen konnte. Pyta stellt den Feldmarschall richtig unter dem Programm vor, nach dem Ausfall des Kaisers im Krieg und erst recht nach dem Ende der Monarchie die Einheit der Nation über das Bismarck-Reich hinaus zu bewahren. In diese Rolle hatte ihn das Volk mit dem Mythos des Tannenberg-Siegers machtvoll hineingeschubst. Hindenburg nahm an. Das aber hieß für ihn, dass er zur Sicherung seiner Rolle fortan Geschichtspolitik betreiben musste – das bei Pyta meist gebrauchte Wort auf 870 Seiten. Er musste die Politik der Weimarer Parteien dahin zu steuern suchen. Und er musste, um dies zu können, sein Verdienst am Sieg von Tannenberg herausstreichen. Denn der wurde ihm bestritten.

Pyta liegt im Mainstream gegenwärtiger deutsche Militärgeschichtsschreibung, wenn er die Analyse kriegerischer Vorgänge gering achtet. Für die Schilderung der Tannenbergschlacht reichen ihm wenige Seiten. Pyta bestreitet Hindenburg den Ruhm von Tannenberg, aber die schmale Diskussion, die er dazu führt, lässt nähere Kenntnisse vermissen. Die wichtige Studie des Generals von Rabenau fehlt schon im Literaturverzeichnis, ebenso die Memoiren der Korpsführer von François und von Scholz und etliches andere mehr. Mit der Verwechslung von Quellenkritik und Kritik der Forschungsliteratur hätte Pyta vor vierzig Jahren noch nicht einmal ein Hauptseminar im Fach Geschichte erreicht.

Verdienstvoll ist bei Pyta immerhin der Nachweis, dass Hindenburg als Präsident gerade in der Phase, als er Hitler schließlich an die Macht brachte, keineswegs ein verkalkter alter Herr war, der den Einflüsterungen sinistrer Berater hilflos ausgeliefert gewesen wäre, sondern dass er selbstbewusst und seinem Programm folgend handelte, gleichsam der alten Reichswehr und den Protagonisten der künftigen Wehrmacht ein gemeinsames Dach bietend. So entließ er Hammerstein, der das nach Hitlers Machtübernahme gewünscht hatte, mit einem ehrenvollen Schreiben und erwies in Potsdam der neuen Politik seine Reverenz.

Vom Mythos Hindenburgs zehrte zunächst auch Beck, der freilich nach dem Tod des Reichspräsidenten ausgerechnet Ludendorff als neuen Helden, der den Mythos des Sieges verkörperte, aufbauen wollte. Ludendorff, in der Frage der Verdienste um Tannenberg der erbittertste Gegner Hindenburgs, verweigerte sich dem Ansinnen.

Becks fatalste Fehlorientierung in seiner Dienstzeit lag allerdings in der Positionierung der Wehrmachtsführung. Als Generalstabschef des Heeres wollte er weiterhin die Bedeutung beanspruchen, die dieser Posten seit Helmut von Moltke und Schlieffen gehabt hatte. Dass die hohen Militärs seit Jahren schon vor allem mit Kompetenzgerangel zwischen ihren Büros beschäftigt waren, gehört zu dem Typus, den sie, aus den Stäben der Weltkriegsarmeen heimgekehrt, noch weiter ausgeprägt hatten. Da beherrschte Beck das Fach. Aber er stand nicht nur auf der richtigen Seite der politischen Geschichte, er stand zugleich auf der falschen Seite der Kriegsgeschichte.

Beck hatte zwar recht, was das Verhängnis eines neuen Krieges für Deutschland betraf, aber ebenso unmittelbar unrecht, was die Aussichten der deutschen Truppen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs anging. Als die Wehrmacht spätestens 1944 geschlossen hätte handeln müssen, war sie dazu eben nicht in der Lage. Die „old boys“ – wie sie Müller mehrfach anspricht – der elitären Kriegsakademie von vor 1914, die bis 1933 alles im Griff gehabt hatten, waren jetzt an die Seite gedrängt.

Es ist eine Ironie nicht der Geschichte, sondern des Verlagswesens, dass auf den Buchumschlägen Hindenburg als Zivilist abgebildet ist, obgleich er seinen Ruhm als General errang, Ludwig Beck hingegen als General, obwohl die Verehrung, die er bei historisch Gebildeten bis heute genießt, als Bürger mit und ohne Uniform erworben hatte.

Hans Magnus Enzensberger: „Kurt von Hammerstein-Equord. Ein Leben im Eigensinn“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008, 375 Seiten, 22,90 € Klaus Jürgen Müller: „Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie“. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2007, 835 Seiten, 39,90 €ĽWolfram Pyta: „Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler“. Siedler Verlag, München 2007, 1.120 Seiten, 49,95 €